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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sorj Chalandon
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Mannes. Der Kork war innen schwarz und hart wie ein Torfbrikett. Das Ganze war weder rund noch glatt. Kein Ball mehr. Eher eine geplatzte Pflaume. Das Amulett des Verdammten.
    Dann legte ich das Heft auf den runden Tisch. Ein Kinderheft mit heimisch grünem Umschlag. Ich strich lange mit der Hand darüber, bevor ich es überhaupt aufschlug. Ich zögerte. Ich wollte »Tagebuch des Tyrone Meehan« auf den Umschlag schreiben, fand das aber zu angeberisch. »Bekenntnisse«gefiel mir nicht. »Enthüllungen« auch nicht. Also schrieb ich gar nichts drauf. Ich schlug es auf und plättete mit der Faust den Bund.
    Beim sechsten Pint schrieb ich ein paar Worte auf die erste rechte Seite:
    »Jetzt, wo alles aufgedeckt ist, werden andere an meiner Stelle reden. Die IRA, die Briten, meine Familie, meine Freunde oder Journalisten, die ich nie getroffen habe. Einige werden sich an eine Erklärung wagen, warum und wie ich zum Verräter wurde. Womöglich werden auch Bücher über mich geschrieben werden, eine Vorstellung, die mich rasend macht. Hört nicht auf ihre Behauptungen. Traut meinen Feinden nicht und noch weniger meinen Freunden. Wendet euch von jenen ab, die sagen, sie hätten mich gekannt. Niemand steckte je in meiner Haut, niemand. Wenn ich heute spreche, dann weil ich der Einzige bin, der die Wahrheit kennt. Und weil ich hoffe, dass nach mir Schweigen herrscht.«
    Ich datierte das Ganze: Killybegs, 24.Dezember 2006. Unterschrieb. Und machte mich auf den Heimweg.
    Ich ging die Straße entlang, bis das Dorf zu Ende war. Betrat das feuchte, schwarze Haus und drückte Toms sliotar in meiner Tasche. Ich war nicht betrunken, aber berauscht, erleichtert und ängstlich zugleich. Ich hatte mit meinem Tagebuch angefangen.

4
    Wir wussten, dass es schwer sein würde, während des Krieges im Norden von Belfast zu leben. Mit ein paar Steinen gegen die Tür fing es an, im August 1941. Dann schrieben sie mit schwarzer Farbe »Irenschweine« an Lawrence’ Werkstatt. Im September mussten wir einen Molotowcocktail löschen, der nachts ins Wohnzimmer flog. Eine katholische Familie weiter oben in der Sandy Street beschloss, in die Republik Irland zurückzukehren. Auch zwei andere, die in Mills Terrace wohnten. Jede Nacht schlichen Protestanten in unser Viertel und beschmierten die Fassaden: »Raus mit den papistischen Verrätern!«; »Katholen = IRA«. Lawrence hatte einen Knüppel neben seinem Bett, Séanna seinen Hurling-Stock unter der Matratze. Aber wir waren noch nicht bereit zur Schlacht.
    Die Costellos zogen gleich nach Weihnachten ins Beechmount-Viertel. Sie hatten so viel Zeug, dass sie dreimal hinund herfahren mussten. Sie ließen sich Zeit. Ich küsste Sheila zum zweiten Mal. Ihr Haus brannte noch in derselben Nacht.
    Die Loyalisten säuberten ihre Straßen. Sie waren Protestanten, Briten und im Krieg. Wir waren Katholiken, Iren und neutral. Feiglinge oder Spione. In der Republik Irland, behauptetensie, blieben die Städte nachts hell erleuchtet, um der Luftwaffe den Weg nach Belfast zu weisen. Wir Iren in Nordirland, behaupteten sie, seien die fünfte Kolonne, die Handlanger der deutschen Invasion. Wir legten für deren Flieger und Fallschirmspringer geheime Landebahnen an. Wir seien Fremde. Feinde. Wir sollten wieder zurück über die Grenze oder uns in den Ghettos stapeln.
    Doch Lawrence weigerte sich zu gehen. Schon 1923 hatten seine Eltern hier ausgeharrt, inmitten von immer mehr leeren Häusern mit blinden Fenstern. Eines Abends sprach Mutters Bruder mehr als gewöhnlich. Wir seien überall in Irland zu Hause, von Dublin bis Belfast, von Killybegs bis zur Sandy Street 19. Die Fremden seien sie. Die Protestanten, die Unionisten, diese Kolonialistenbrut, die nur dank Cromwells Degen in unseren Häusern und auf unserem Grund und Boden lebten. Uns stünden dieselben Rechte, dieselben Rücksichten zu wie ihnen. Das sei eine Frage der Ehre. Und wie ich ihn reden hörte, hörte ich meinen Vater reden. Und liebte meinen Vater im Zorn meines Onkels. Lawrence Finnegan war Patraig Meehan ohne Pints und Prügel.
    Mein Onkel hatte vor zehn Jahren zu trinken aufgehört. Hilda und er waren auf der Heimfahrt von Derry. Sie waren beim Arzt gewesen, und es sah nicht gut für sie aus. Sie würden niemals Kinder bekommen. Zu zweit allein sein, jeden Morgen, jeden Abend, alle Tage ihres Lebens. Und so würde es sein, bis der eine stürbe und der andere ihm folgte. Unterwegs hatten sie getrunken, um zu vergessen. Als sie die Grenze

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