Rückkehr nach Killybegs
überquerten, verabschiedeten sie sich brüllend von den Briten. Hoch die Republik! Endlich wieder in der Heimat. Dochkaum auf irischem Boden, geriet der Wagen außer Kontrolle. Rammte einen Pfosten, einen Baum und rollte in einen Graben. Überschlug sich. Hilda war tot. Lawrence überlebte. Und ersetzte den Rausch durch Schweigen.
*
Wir waren bei unseren Abendgebeten, als die Protestanten die Sandy Street stürmten, am Sonntag, dem 4. Januar 1942. Mit Hacken brachen sie die Tür auf und warfen Fackeln herein. Lawrence kippte das Sofa um, um uns Schutz zu geben. Die Mädchen kamen schreiend aus dem ersten Stock gerannt, Mama hatte Baby Sara an einem Bein gepackt, kopfüber. Séanna hielt seinen Hurling-Stock umklammert. Mein Onkel schrie, er solle sich nicht rühren, nichts riskieren und sich mit uns hinter den Samtkissen verkriechen.
»Morgen seid ihr hier weg!«, brüllte einer.
Ich habe ihn nicht gesehen. Ich habe niemanden gesehen. Ich hatte die Augen geschlossen und den Kopf zwischen den Knien. Meine Geschwister und meine Mutter saßen um mich herum auf dem Boden, ein Durcheinander aus Armen und Beinen. Sie drangen in unser Haus ein. Zerschlugen die Fenster, zerfetzten die Klebepapierstreifen, die uns vor den deutschen Bomben schützen sollten. Zerbrachen die Suppenschüssel aus Galway. Zerrissen das Foto von Papst Pius XII. Verwüsteten alles, zertrampelten alles. Dann nahmen sie sich den ersten Stock vor, liefen links und rechts an uns vorbei, ohne uns zu behelligen. Unter- und übereinander hockten wir zu elft in unserer Zuflucht zwischen dem gekipptenSofa und der Wand. Ohnmächtig, ausgesetzt, nackt. Sie hätten uns töten können, aber das machten sie nicht. Sie ignorierten uns und stiegen über uns hinweg. Sie sagten kein Wort. Zerstörten stumm das Vertraute. Wir hörten nur ihre Schritte und ihren Atem. Sie rissen sogar Dodie Dum’ den Kopf ab, Baby Saras Schmusetier. Als alles kaputt war, hauten sie ab.
»Morgen!«, brüllte die Stimme noch einmal.
Séanna kam als Erster heraus, den Hurling-Stock in der Hand und Tränen in den Augen. Er war der Älteste der Meehans, der Familienchef, und hatte versagt. Nur er konnte den Vater ersetzen und hatte es nicht getan. So stand er mit seinem nutzlosen Stock auf der verlassenen Straße und schrie den Schweinen hinterher. Lawrence schüttete Eimer voll Wasser auf die Flammen, die an den Wohnzimmervorhängen leckten. Im Mädchenzimmer grollte das Feuer. Wir hatten keine Wahl. Es war Zeit. Bis jetzt hatten wir ausgehalten, ein paar Monate, ein paar Tage länger als die meisten Nachbarn. Wir waren fast die Letzten. Ich sehe noch meinen Onkel vor mir, wie er Séanna mit der Hand am Nacken in unser feindseliges Haus zurückführt und zu ihm sagt, wir müssten jetzt retten, was möglich sei. Und dass er, Séanna, uns beschützt habe. Dass beschützen besser sei als töten. Dass wir ihm alle unser Leben verdankten. Und ich sehe auch das Gesicht meines Bruders vor mir. Wie er meinen Onkel anschaut. Zu begreifen versucht, was der gerade zu ihm gesagt hat. Und in den ersten Stock hinaufrennt, um die Kleider den Flammen zu entreißen.
Als dann auch das Dach brannte, trug er die letzten Säcke auf die Straße. Áine, Klein-Kevin und Brian umringten ihnzögernd. Séanna hockte sich hin. Drückte sie an sich, umschlang sie, die Arme voll verängstigter Kinder, die sagten, ich liebe dich.
*
Als Lawrence’ Lastwagen in der Dholpur Lane hielt, kamen die Leute heraus, um uns zu begrüßen.
»Die Familien aus der Sandy Street!«, rief ein Junge.
Es war vier Uhr morgens, am 6. Januar. Die Türen gingen fast alle gleichzeitig auf, als hätte das Viertel auf uns gewartet. Die Frauen hatten einen Mantel über ihr Nachthemd geworfen. Die Männer ließen die Heckklappe herunter und holten die wenigen Sachen heraus, die wir noch hatten: zwei Matratzen, vier Stühle, den Küchentisch und ein paar Kleidungsstücke.
Ich hievte eine Matratze auf meinen Kopf. Sie knickte vorn und hinten ab, schwankte bei jedem Schritt und behinderte meine Sicht. Brian, Niall und Séanna trugen den Tisch. Róisín, Mary und Áine schleppten Säcke mit Kleidern. Klein-Kevin zog einen Stuhl über die Straße. Mama hielt Baby Sara und unsere gipserne Jungfrau an sich gepresst. Eine Frau legte ihr eine Decke um.
Rund zwanzig junge Burschen liefen mit Handkarren auf uns zu. Stapelten Säcke, den Tisch, die Stühle. Ein junger Mann, den sie Tom nannten, gab ihnen knappe Befehle. Wie ein Offizier, der
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