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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sorj Chalandon
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dunkel. Ein Tisch, ein paar Stühle, ein Boxring. Es glich überhaupt eher einem Boxclub als einem republikanischen Hauptquartier.Ich verbrachte meine Zeit im Ring, die Fäuste auf Augenhöhe. Wir lernten zuschlagen, ohne zu zögern, und einstecken, ohne zu stöhnen. Unser Anführer war Daniel »Danny« Finley, ein Junge ohne Gefühle, ohne Wärme und überflüssige Worte. Er war in meinem Alter. Die Familie war aus dem Short-Strand-Viertel geflohen, nachdem Daniels Zwillingsbruder Declan gelyncht worden war. Declan kam in seiner Schuluniform mit der grün-ockerfarben gestreiften Krawatte und dem Wappen von St. Comgall vom katholischen Gymnasium. Der Bürgersteig war übersät von Trümmern. Nach kurzem Zögern wechselte er die Straßenseite und überschritt damit die unsichtbare Grenze, die die beiden Gemeinden trennte. Ging auf der anderen Seite weiter, auf dem protestantischen Bürgersteig. Provozierte nichts und niemanden. Machte nur einen kleinen Umweg, um einer eingestürzten Fassade auszuweichen.
    In dem Moment fuhr ein Holzlaster durch die Straße. Auf den Bretterstapeln ein Dutzend protestantischer Gymnasiasten im blauen Blazer. Einer von ihnen schrie:
    »He! Ein Taig-Arsch!«
    Taig. Scheißkathole. Dreckspapist. Die Lieblingsschimpfwörter der Loyalisten in den kurzen Hosen. Declan rannte zurück über die Straße, stolperte und fiel schreiend auf den Bürgersteig. Die Blauen stürzten sich auf ihn. Er versuchte sich zu schützen, indem er sich zur Seite rollte und so, mit geschlossenen Augen, den Kopf zwischen den Fäusten, die Knie an den Körper gezogen, liegen blieb. Wie ein Kind im Bauch seiner Mutter. Knie und Fäuste trafen ihn. Einer sprang mit beiden Füßen auf seinen Kopf. Ein anderer schmiss einen Betonblock auf seine Brust. Dann rannten sie weg, holten denLaster an der Kreuzung ein, sprangen auf die Ladefläche und sangen: »Zu Haus, zu Haus! Hier sind wir zu Haus!«
    Ein Mann öffnete vorsichtig die Haustür, andere näherten sich dem Opfer. Eine Frau brachte ein Glas Wasser. Lauter Katholiken, alle von dieser Straßenseite. Auf der anderen Seite glotzten sie nur.
    Declan Finley war tot. Das Gesicht zerschmettert und die Fäuste geballt. Als die Rettung kam, war das Blut des Jungen braun, dick, mit Staub vermischt. Ein alter Mann ging mithilfe seines Stocks mühsam neben ihm in die Knie, tauchte die rechte Hand hinein und überquerte mit erhobenem Arm die Straße. Auf dem Bürgersteig gegenüber hundert Schweigende, die sich langsam zerstreuten. Der Alte beschmierte ihren Bürgersteig mit dem Blut. Einer wollte auf ihn los, zwei andere hielten ihn zurück. Dann kehrte der Nationalist ihnen den Rücken und ging.
    Die Rettungsfahrer hoben Declan in ihren Wagen. Gegenüber versuchten ein paar Jungen, das Blut des Märtyrers zu entfernen, indem sie mit ihren Schuhen über den Teer schrappten.
    Das war kurz vor dem Krieg. Die Finleys verließen das Ghetto und suchten im Westen von Belfast Zuflucht. Wie so viele andere. Zu Hunderten kamen Katholiken aus dem Norden und Osten der Stadt und drängten sich in den Backsteinkatakomben. Es hörte überhaupt nicht auf.
    Ich hatte Respekt vor Daniel, aber auch Angst. Beim Boxen schlug er hart zu. Einmal blutete er stark aus der Nase. Er zog die Handschuhe aus, wischte sich mit beiden Händen das Blut ab und schmierte es dem anderen, der ihn getroffen hatte, ins Gesicht. Blutige Finger vor verstörten Augen. Ichwar froh, seinem Lager anzugehören, dem Lager der irischen Republik, dem Lager von James Connolly, Tom Williams und meinem Vater. Die Jungs, die uns gegen sich hatten, taten mir aufrichtig leid.
    *
    An einem Samstag im Februar 1942 nahm ich an meiner ersten militärischen Operation teil. Seit ein paar Monaten hatte das Nordkommando alle verfügbaren Waffen gehortet, die seit dem Unabhängigkeitskrieg in der Republik versteckt waren. Volunteers passierten nachts die Grenze, um für die vier Bataillone von Belfast Material zu beschaffen. Wir waren Kinder. Wir wussten nicht viel über diesen großen nationalen Umzug. Erst nach dem Krieg erfuhren wir vom Ausmaß dieser Geheimtransporte. Fast zwölf Tonnen Waffen, Munition und Sprengstoff waren auf Befehl des Rats der republikanischen Armee querfeldein verschoben worden, zu Fuß, auf dem Rücken von Frauen und Männern, in Lastwagen, auf Karren, ohne dass die britische oder die irische Armee etwas ahnten.
    An diesem Abend kam Tom Williams in unser Lokal, um zwei Fianna zu holen.
    »Kannst du pfeifen,

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