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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sorj Chalandon
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Welt!«
    Ich kehrte ihr wieder den Rücken und legte weiter Kohlen nach.
    »Kannst du dir das vorstellen, mit mir zusammen in Paris, weeman ?«
    »Kleiner Mann«. Seit unserer Kindheit nannte sie mich so, wenn wir alleine waren. Sheila war einen Kopf größer als ich.
    Ich schloss die gusseiserne Klappe.
    »Und man muss nicht einmal Fragen beantworten. Es ist eine Verlosung!«
    Sie setzte sich an den Tisch.
    »Paris! Kannst du dir das vorstellen?«
    Sie las es noch einmal vor, dann füllte sie den Schein aus.
    Ich streifte meine Jacke über und setzte die Mütze auf.
    »Du gehst?«
    Ja. Nie fragte sie mich, wohin ich ging oder wann ich heimkommen würde. Der Krieg machte nicht vor unserer Türe Halt, das wusste sie. Jedes Mal, wenn ich sie verließ, umarmten wir uns stumm. Ihr Blick, der in meinem versank, ihr Hoffnungslächeln.
    »Kannst du das einwerfen, wenn du an einem Briefkasten vorbeikommst? Man muss es nicht einmal freimachen.«
    Auf der Straße faltete ich die Werbesendung auf. Die Schrift meiner Frau: Sheila und Tyrone Meehan. 16 Harrow Drive. Belfast. Die kleinen blauen Buchstaben, ihre Art, unsere Vornamen zu unterstreichen. Als ich nach Falls kam, ging mir die Luft aus. Ich hatte mir eine Zigarette angezündet und den Mützenschirm tief in die Stirn gezogen. Sorgfältig schnitt ich unsere Namen aus dem Coupon aus. Zerkaute die Papierschnipsel. Zerriss den Rest und warf ihn über den Zaun in den Park. Dann ging ich ins »Busy Bee«. Der übliche Haufen. Gesichter, Blicke. Freundschaftsbezeugungen, Kopfnicken, ein mir ins Ohr geflüstertes Wort, eine Hand auf meiner Schulter.
    Sie sahen den Verräter nicht. Wie machten sie es nur, dass sie ihn nicht erkannten? Das Wort war mir doch in die Stirn graviert. Ich hatte beschlossen zu trinken. Allein auf einem Hocker an der Bar. Über dem Tresen neben unserer Trikolore hing ein Plakat. Das Foto eines republikanischen óglach mit Camouflage-Jacke, Sturmmütze über dem Gesicht und einer Thompson in der Hand.
    Unbedachte Worte kosten Leben
    Im Taxi
    Am Telefon
    In Clubs und Bars
    Beim Fußball
    Zu Hause unter Freunden
    Überall!
    Was ihr auch sagt, sagt nichts.
    Ich kannte diese Warnungen. Sie waren Teil unseres Alltags. Einmal habe ich einen Jungen dabei erwischt, wie er eines der Plakate abriss. Er wollte es für sein Zimmer, und ich verfolgte die Sache nicht weiter. Mein erstes Halbes stürzte ich fast in einem Zug hinunter. Dann das zweite. Und dritte. Paul, der Barmann, begann das nächste Bier schon zu zapfen, wenn das vorangegangene erst halb leer war. Ich musste ihn nicht darum bitten. Er wusste, dass heute Abend Besäufnis angesagt war. Und dass er mir in ein paar Stunden die Münzen für das letzte Bier aus der Hand sammeln müsste. Wir hatten in derselben Zelle in Crumlin gesessen, zusammen mit Paddy Moloney, der am anderen Ende des Raumes seinen Whiskey trank und die Zeitung las. Mein Blick traf den des maskierten Soldaten auf dem Plakat. Ich sah zu Boden.
    Mein ganzes Leben lang hatte ich nach Verrätern gesucht. Mein ganzes Leben lang, wirklich. Bis zu diesem Abend hatte ich das Herz eines Wächters. Immer wenn ich einen Club betrat,streifte mein Blick durch den Raum.Das war seit jeher das Erste, was ich tat. Sheila ging zu unserem Tisch, ich blieb auf der Schwelle stehen. Sie kannte das schon. Ich überprüfte die Gesichter, die Gruppen, die Haltungen sämtlicher Anwesenden. Dann ging ich zur Toilette und klopfte an jede Tür, um zu erfahren, wer dahinter war. Wenn ein Unbekannter in den Pub kam, schickte ich ihm einen von unseren Jungs hinterher. Oft waren es ausländische Fans,Touristen,die mit unserer Sache sympathisierten und ein bisschen Kriegsluft schnuppern wollten. Dann setzte ich mich mit dem Rücken zur Wand. Seit ich in Belfast war, hatte ich nie mit dem Rücken zu einer Tür oder einem Fenster gesessen. Das hat uns Tom Williams gelehrt. Er sagte immer: »Ihr müsst den Tod kommen sehen!«
    Den ganzen Abend war ich auf dem Posten. Ich trank, lachte, redete wie alle anderen, hatte aber die Warnung im Kopf und den Alarm im Bauch. Ich mochte diese Spannung. Und je später es wurde, desto nervöser wurde ich.
    Wenn die Briten kamen, warnten uns die Fianna: »Brits!«
    Das liebte ich. Diese Momente reinen Trotzes. Die Späher sahen ihre Panzerwagen kommen. Die Türsteher ließen sie unter den weißen Scheinwerfern des Pubs vor den schweren Gittern eine Weile auf dem Bürgersteig warten. Wir konnten sie auf den Kontrollbildschirmen sehen, nicht

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