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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sorj Chalandon
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Wartete auf ein Zeichen, ein Blinzeln, den Code eines Widerstandskämpfers, bevor er sich wieder ans Werk machte.Ich wusste,dass sein Herz klopfte: Vor seinem Fenster stand der große Tyrone Meehan, der heimlich den Kampf seines Landes unterstützt hatte. Wie hatte er das gemacht? Waffen transportiert? Orte ausgekundschaftet? Eigentlich egal. Von Bedeutung war nur, dass er in dieser Stadt, in dieser Straße, in diesem Versteck sicher war und dass er das einem französischen Geigenbauer verdankte.
    Paris wappnete mich für Belfast. Mit Honoré flanierte ich durch die Stadt. Mit Waldner drückte ich mich an Mauern entlang. Meine Arbeit mit dem einen erlaubte es mir, den anderenzu informieren. Warum den Feind nicht von unserer Politik unterrichten? Was hatten wir zu verheimlichen? Nichts. Sinn Féin forderte seit Langem einen Dialog mit den Briten. Und hier in Paris nahmen Honoré und ich gerade Friedensgespräche auf. Elf Jahre war er für mich Margaret Thatcher, John Major, dann Tony Blair. Und ich für ihn die IRA.
    Aber vor allem war ich Tyrone Meehan, ein republikanischer Kämpfer. Ich verleugnete nichts, befleckte nichts. Das Schwein hatte ich in der Falls Road gelassen. In Paris verriet ich nichts, sondern unterrichtete. Ging einer nützlichen, kämpferischen, wesentlichen, wahrscheinlich sogar historischen Arbeit nach. Das hatte noch keiner der Genossen versucht: Ohne das Wissen, geschweige denn die Erlaubnis meiner Vorgesetzten stand ich durch den Botschafter in direktem Kontakt mit dem Feind und bereitete mit ihm gemeinsam die Zukunft vor. Es war schwindelerregend. Mehr als Trunkenheit. Ich fühlte mich stärker als alle und alles. Größer als unsere Politiker, größer als der Rat der republikanischen Armee, größer als Waldner und der rothaarige Cop. Und so viel wichtiger als Honoré, dieser Junge aus Norfolk, dem ich in den Stift diktierte. Nie zuvor hatte ich eine solche Macht gespürt. In meinem ganzen Leben hatte ich nie diese Kraft besessen. Ich gehorchte keinem. Ich machte die Geschichte meines Landes. Still und heimlich, am Rande der Meinen, diente ich meiner Heimat mit all meiner Kraft. Ich war dem Frieden so ungeheuer viel dienlicher, so viel nützlicher als ein dummer Schuss von einem Dach auf eine nächtliche Patrouille.
    In Honorés Blick lag Respekt. Dieses besondere Leuchten, diese vollkommene Aufmerksamkeit, dieses Schöne, was ichnicht hatte benennen können, das war es: Honoré respektierte mich. Saugte jeden meiner Sätze auf. Kreiste manches noch zur Überprüfung ein. Aber immer weniger. Das Wort »fasziniert« kam mir eines trunkenen Tages in den Sinn. Das traf es genau. Exakt dieses Wort. Ich faszinierte den Feind, und er respektierte mich. Er beherrschte mich nicht mehr, ich war es, der ihn in der Hand hatte.
    Eines Nachmittags im Juni 1994, als unser Bus am Trocadéro stand,verwandelte ich Honorés Respekt in Bewunderung.Ich hatte ihm eben mitgeteilt, dass die IRA die vollständige Einstellung der Feindseligkeiten beschlossen habe. Er sah mich an, ohne zu schreiben. Der Eiffelturm, lachende Touristen, Souvenirverkäufer, ein Himmel ohne Bedrohung. Als er sich mir wieder zuwandte, glaubte ich, ein Kind vor mir zu haben.
    »Bist du sicher, Tyrone?«
    Tyrone. Nicht Meehan oder Tenor. Der Vorname, den mein Vater mir gegeben hatte. Ja, ich sei sicher. Ich wisse es. Vor Jahresende. Vielleicht noch diesen Sommer.
    »Waffenruhe«, murmelte Honoré vor sich hin.
    »Nein. Die vollständige Einstellung der Feindseligkeiten.«
    Er sah mich wieder an. Wie man einen Freund streichelt. Dann wandte er zum ersten Mal die Augen von mir ab. Und schrieb. Seine Hand zitterte. Als wollte er diese Wendung nicht entwischen lassen.
    »Die vollständige Einstellung der Feindseligkeiten.«
    Er las es noch einmal. Blieb bis zum Champ-de-Mars darin versunken.
    Und kreiste es nicht ein.Die Briten würden mit der IRA verhandeln. Die Protestanten müssten sich abfinden mit unserem Platz im Feld der Macht und später auch am Entscheidungstisch. Dann wäre Irland eines Tages wieder vereint. Die Grenze würde von Tausenden lachenden Kindern überrannt. Unsere Frauen und Männer, Töchter und Soldaten würden querfeldein zu unseren Brüdern in der Republik laufen. Einander umarmen, küssen, vor Freude schreien, endlich! Da, der Wind erhebt sich und die Sonne geht über unseren Fahnen auf. Von Stadt zu Dorf, von den Gassen in Belfast bis in die Alleen von Dublin, von den Hügeln von Wicklow bis zum Hafen von Killybegs

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