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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sorj Chalandon
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es wissen?«
    »Niemand. Nur du und ich. Die Mission ist absolut vertraulich.«
    Er sah mich an, plötzlich besorgt.
    »Ihr werdet doch nicht in Frankreich zuschlagen?«
    Niemals, kleiner Honigbrotsoldat. Man blutet doch die Rückzugsbasis nicht aus. Man liebt sie, man schützt sie, man respektiert sie. Die IRA wird deine Heimat nie antasten. Sie ist uns heilig.
    »In Ordnung, Sohn? Machen wir es so?«
    Wir machen es so. Natürlich. Wäre es weniger eng beiihm gewesen, hätte er seine Geige hervorgeholt und die große Neuigkeit darauf gefiedelt. Der kleine Franzose würde in unser Glied eintreten. Aus Liebe zu unseren Leben sein liebeleeres Leben hinter sich lassen. Ich hatte ein komisches Gefühl dabei. Nicht Scham, nicht Schuld, nicht Reue. Ich sah ihn an. Nein, es tat mir nicht leid. Indem ich ihn benutzte, machte ich seine Wahnsinnstat wieder gut. Er könnte Krieg spielen ohne Risiko und ohne Schaden anzurichten. Und ich könnte ihn schützen. Er hatte die Augen geschlossen. Die Hände im Nacken verschränkt. Das pure Glück. Und ich war so glücklich für ihn.
    »Pan! Pan! Pan!«
    Waldner, der sich über das Tonbandgerät gebeugt hatte, schreckte auf. Sah mich fragend an.
    »Da sind wir an einem Panzer vorbeigefahren«, antwortete ich.
    Er nickte lächelnd.
    »Schrecklich, dein kleiner Franzose.«
    Vor drei Monaten hatten sie ein Mini-Aufnahmegerät plus Mikrofon in meinem Handschuhfach versteckt. Jeden Samstag schrieb ich im Postamt am Castle Place auf einem Tisch voller Formulare eine Postkarte. Die Bänder befanden sich in einem geschlossenen Umschlag, der mit Klebeband im »Belfast Telegraph« befestigt war. Dann kam Waldner an dem Tisch vorbei und nahm die Zeitung. Kein Wort fiel, kein Blick. Sehr praktisch. Als ob weder er noch ich es wären.
    *
    Allmählich lernte ich Honoré begreifen. Fast wie man einen französischen Wein entdeckt. Man betrachtet ihn lange, ehe man ihn probiert. Er war anders als Waldner oder der rothaarige Cop. Die blieben mit ihren militärischen Fragen in Belfast. Und wenn sie mich trafen, waren sie im Krieg. Honoré dagegen war kein Soldat, eher ein Student, der für sein Fach lernte. Und ich war das Thema.
    Unser Treffpunkt war der Campus von Jussieu in Paris. Im Gegensatz zu Belfast waren die Eingänge in die Gebäude nicht bewacht, die Treppen frei und die Räume meist offen. Nur einmal, nach gewalttätigen Zwischenfällen zwischen linken und rechten Studenten, gab es Kontrollen durch das Aufsichtspersonal. Honoré bat mich um ein Passfoto, um mir eine Karte für Universitätsmitarbeiter ausstellen zu lassen, falls sich so etwas wiederholen sollte, doch schon am nächsten Tag waren die Aufpasser verschwunden, und wir konnten unsere Gewohnheiten wieder aufnehmen. An schönen Tagen saßen wir draußen im Hof auf Stühlen, die wir uns aus einem Hörsaal geborgt hatten. Ich sprach, er schrieb auf. Von Weitem konnte man uns für einen Professor und seinen Studenten halten. In der Cafeteria, in der hintersten Reihe eines leeren Hörsaals, an den Tischen eines verlassenen Lokals ähnelten wir den Phantomen, die uns umgaben. Beide aßen wir Sandwiches und tranken Limo. Kein Alkohol bei unseren Treffen, das hatte er sich von mir erbeten wie einen Gefallen. Also kam ich mit einem Flachmann in der Tasche. Und trank heimlich wie ein Loch.
    Als ich Honoré zum ersten Mal sah, war er im Botschaftsanzug, aber zu unseren Treffen in Paris erschien er lieber in Jeans, Rollkragen und Turnschuhen.
    Anfangs fragte er mich nach unwichtigen Sachen. Das waren vermutlich Fingerübungen. Was die IRA plante, interessierte ihn nicht. »Was sie denkt, will ich wissen.«
    Er wollte verstehen, wer bei uns die Befehlsgewalt hatte, Politiker oder Militärs. Ob es Meinungsverschiedenheiten darüber gab und wer für welche Position stand. Er stellte mir Fragen zum irischen Tagesgeschehen. Beim letzten Kongress der Sinn Féin hätten die Leute den einen Redner bejubelt und den Saal geräumt, als der andere das Podium betrat – warum? Und wie sich das auf die Strategie der Bewegung auswirke? Das kam mir alles recht harmlos vor. Nur wie er mitschrieb, erinnerte mich daran, wer er war. Er hatte mich pausenlos im Blick. Schaute nie in sein Notizbuch. Kritzelte die Buchstaben nach Gefühl hin und baute die Sätze instinktiv zusammen. Weil er fürchtete, den dünnen Faden abreißen zu lassen oder zu verlieren. Meine Augen, seine Augen. Solange ich ihm in die Augen sah, vergaß ich fast, dass er mitschrieb, das wusste

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