Rückkehr nach Killybegs
Ministerien gegangen. Lächle, Tyrone, verdammt noch mal! Sieh, wie Toms Sarg von Männerschultern mitten durch die Stadt getragen wird! Wie oft bist du aufgewacht und warst für diesen Traum dankbar! Was? Das Misstrauen zwischen den beiden Gemeinden? Das bleibt natürlich. Jeder weiß es. Und die Angst? Ja, auch die bleibt, selbstverständlich. Und die mühsame Trauerarbeit, der Zorn, auch der Hass. Und die Verbitterung der Opferfamilien darüber, dass die Täter ungestraftdavongekommen sind. Dennoch und trotz alledem. Der Traum, den dein Vater, Tom und Danny träumten – Frieden, Tyrone! –, das ist es, was du jetzt erlebst!
In ein paar Wochen wird Waldner nach England zurückgehen. Der rothaarige Cop wird den Verkehr an einer Kreuzung regeln, Honoré wird irische Geschichte lehren, und alles wird gelöscht. Schau dich um, Tyrone Meehan! Aller Augen spenden dir Beifall. Niemand weiß etwas. Niemand ahnt etwas. Du kommst schon durch, alter Junge! Seit Monaten hast du nichts mehr an den Feind weitergegeben. Und was hättest du auch weitergeben sollen? Der Friedhof und die Doppeldecker haben ausgedient. Krieg steht nicht mehr auf der Tagesordnung, Tyrone. Gestern haben deine Anführer befohlen, die Downing Street 10 mit Mörsern zu bombardieren, heute trinken sie Tee mit dem britischen Premierminister. Alte IRA-Kämpfer und protestantische Milizionäre stehen gemeinsam Schlange in der Parlaments-Cafeteria und verlangen einen Nachschlag an Brot. Beim letzten Treffen hat Waldner dir nur noch aus Gewohnheit zugehört. Und Honoré sah auf die Uhr. Sie können dich nicht mehr brauchen, Tyrone. Das war’s. Schluss. Aus und vorbei. Sie werden dich vergessen. Und du wirst sie vergessen. Man kann alles vergessen.
Ich drehte mich zur Wand. Nahm einen Schluck Wodka.
»Tyrone?«
Ich sollte den Sarg tragen. Erst waren die Alten dran gewesen, dann hatten unsere Anführer übernommen. Jetzt du, Tyrone Meehan! Los! Sechs Träger, drei auf jeder Seite. Und du an der Spitze! Bring deine englischen Freunde zum Lachen,Tenor. Das Foto steht morgen in der Zeitung: Dannys Mörder als Sargträger von Tom. Ich bekam keine Luft. Ich bekam noch nie genug Luft. Und wusste immer, dass mir am Ende die Luft wegbleiben würde. Zwei junge Männer halfen mir, die Last auf meine rechte Schulter zu heben. Ich schwankte ein bisschen. Sie sahen sich wortlos an. Auf der anderen Seite des Sargs ging ein Mann aus Derry. Er legte mir die Hand um den Hals, ich umschlang seinen. So trugen wir langsam unsere Bürde. Ich spürte den sliotar durch meine Hosentasche. Schaute in den Winterhimmel. Mir ging es schlecht. Ich konnte mich nicht an das Gewicht des Schmerzes erinnern. Mein Blick streifte die Menge auf dem Bürgersteig, die Spalier stand.
Ich kannte jedes Gesicht. Und die Namen. Da war Tim, der nach achtzehn Jahren Gefängnis für seine Frau und die Kinder zum Fremden geworden war, der am Rand des großen Bettes schlief und sich so schwer damit tat, wieder Vater zu sein. Wally, der den Straßenjungen erklärte, sie dürften die Panzer nicht mehr mit Steinen bewerfen, nie wieder, das sei früher gewesen, als Kinder fürs Steinewerfen gestorben seien. Die Brüder McGovern, Offiziere des Dritten Bataillons, die jetzt arbeitslos waren, mit demselben Mut. Paul, der seinen Hungerstreik abgebrochen hatte und hustend und hinkend dem Tod entgegendämmerte. Terry, Alan, Dave und Liam, die Taxifahrer, Barmann, Rausschmeißer und Zimmermann geworden waren. Wir waren kein Land, nicht mal eine Stadt, nur eine starke Familie. Ich winkte, zwinkerte, nickte zurück. Erwiderte scheinbar den Stolz, den sie mir entgegenbrachten. Schauspielerte, log, betrog. Ich war nicht mehr würdig, ihnen zu antworten.
Achtundfünfzig Jahre hatte ich auf diesen Tag gewartet, der mich nun endgültig zu einem anderen machte. Auch wenn mich alle vergäßen, ich könnte mich nicht vergessen. Nach diesen Stunden würde es nichts mehr geben. Ich ging nicht mit meinem Volk, ich verließ es. Ich war nicht mehr von hier, nicht mehr einer von ihnen, nicht mehr einer von uns. Als ich Sheila in all ihrer Schönheit auf dem Bürgersteig erblickte, schloss ich die Augen. Die Kämpferinnen Cathy, Liz und Trish standen an ihrer Seite. Sie haben sich sicher bekreuzigt, als der Sarg vorüberzog, auch ihre Herzen hüpften. Hunderte Kinder in Schuluniform standen da mit ihren Lehrern und wiederholten den Namen Tom Williams, der an der Tafel im Klassenraum gestanden hatte.
Als mich einer als Träger
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