Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sorj Chalandon
Vom Netzwerk:
ablösen wollte, wehrte ich mich handgreiflich, stieß ihn mit einem Fußtritt zur Seite und spuckte auf den Boden. Tom Williams gehört mir. Er hat im Januar 1942 meine Matratze in unser neues Haus in der Dholpur Lane getragen, die später dort verbrannte. Er hat mir die Hand gereicht und mich gebeten, ihn mit seinem Vornamen anzusprechen. Für ihn habe ich unsere Straßen bewacht. Für ihn habe ich die Geschichte meines Landes gelernt, in der Kane Street im Ring geboxt und beim Feind Feuer gelegt. Er hat mir meine erste Patrone in die Hand gedrückt. Mit ihm habe ich gekämpft. Für ihn habe ich gekämpft. Für ihn die bunte Uniform der Fianna gegen das blutige Gewand des Soldaten getauscht. Also lasst mich in Frieden. Lasst mich ihn noch ein Stück tragen, ein paar Meter, lasst mich! In dem Sarg liegt nicht nur Tom. Niemand weiß es, oder? Eines Abends ging ich als Scout in kurzen Hosen schlafen. Am nächsten Morgen erwachte ich als der Greis, der ichbin. Dazwischen so gut wie nichts. Eine Handvoll Stunden. Gerüche von Pulver, Scheiße, Torf und Nebel. Also geht mir aus dem Weg!
    Ich nahm Tom mit. Trug meinen Anführer, Freund, Bruder auf meiner Schulter. Brachte ihn heim. Ich würde sein Erdenbett aufschlagen und meine Kindheit mitversenken.

21
    Am 2. Dezember 2006 war ich zur Hochzeit von Déirdre eingeladen, der Enkelin von Pat Sheridan, einem Long-Kesh-Veteranen. Irgendetwas stimmte nicht, da war ein Schweigen in manchen Blicken. Als ich mit Sheila in den Pub kam, tanzte die junge Braut mit einem Glas in den erhobenen Händen auf einem Tisch. Es war brechend voll. Ich ging zu unseren gewohnten Plätzen, die man für uns frei gehalten hatte. Auf der Bühne spielte eine Kapelle Musik aus den Sechzigern. Wir hatten die Nationalhymne und die Rede des Brautvaters verpasst, und ich hatte keine Krawatte um.
    Als Déirdre mich sah, winkte sie mir lachend zu.
    »Tyrone, endlich! Zehn Minuten später, und du hättest meiner Scheidung beiwohnen können!«
    Ich zwinkerte zurück und hob den Daumen zum Gruß. Eigentlich hatte ich gar nicht kommen wollen. Ich war schon auf dem Weg ins Bett gewesen, doch Sheila bestand darauf. Sie hatte ihr Festkleid aus grünem Samt mit weißem Jabot und weißen Manschetten an und einen breiten schwarzen Kamm in ihr graues Haar gesteckt.
    »Niemand wird das verstehen, Tyrone. Außerdem mag ich nicht lügen.«
    Ich hatte erst Kopfschmerzen vorgeschützt, dann Bauchschmerzen,dann gar nichts mehr. Einfach keine Lust. Sheila legte mir den grauen Anzug aufs Bett und lächelte trotzdem. Also zog ich mich an und folgte ihr.
    Die Bar war für diesen Abend geschlossen. Alle hatten ihre Getränke selbst mitgebracht. In meiner Papiertüte waren sechs Dosen Guinness und ein Flachmann mit Wodka. Sheila hatte eine kleine Flasche Gin und eine große Flasche Wasser dabei. Auf dem Tresen standen Obstsäfte für alle. An unserem Tisch saßen noch zwei Personen, Stammgäste aus der Divis Road. Stühle wurden von Hand zu Hand über die Köpfe zu uns weitergereicht und streiften die weißen Papierblumen an der Decke. Nach ein paar Minuten zog Sheila ihre Schuhe aus, um zu tanzen. Einfach so, ohne sich aufzuwärmen, in einer etwas lächerlichen Eile. Sie hatte etwas nachzuholen, einen Abend mit ihren Freundinnen und den Rausch. Auf dem Klo traf ich den Bruder der Braut. Wir waren gemeinsam im Gefängnis gewesen.
    »Toller Abend, was, Gerry?«, sagte ich höflicherweise, während ich heftig pinkelte.
    Er knöpfte sich die Hose zu.
    »Ja, wirklich …«
    Gerry Sheridan war noch nie sehr gesprächig gewesen. In Long Kesh nannten die Wachleute ihn »die Auster«. Er sagte nie etwas zu ihnen, nicht ein Wort. Mit uns sprach er auch nicht. Aber er konnte mit den Augen lächeln. An diesem Abend wandte er nicht einmal den Kopf. Das war das erste Mal. Vielleicht ließ er mich ja für meine Verspätung büßen.
    Schließlich hatten wir die Trauung verpasst. Und den Zug durch die Falls Road mit einem gemieteten britischen Saracen-Panzeran der Spitze. Die Jungvermählten waren auf den Kirchenstufen unter Gelächter, Hurrageschrei und Hoch-Rufen von vier falschen Soldaten in englischer Uniform angehalten, ohne Umschweife in die geöffnete Panzerluke gehievt und von einem Hupkonzert begleitet in den Club verfrachtet worden. Ich mochte solche Spielchen nicht. Zehn Jahre zuvor hatten wir diese khakifarbenen Kakerlaken mit Raketenwerfern beschossen, jetzt bezahlten unsere Kinder Geld dafür, dass sie damit herumfahren durften.

Weitere Kostenlose Bücher