Rückkehr nach Killybegs
er genau. Ab und zu nickte er und zwinkerte mir zu, machte mir sein aufblitzendes Verständnis zum Geschenk. Wenn ich zögerte, ermunterte er mich, indem er die Brauen zusammenzog. Zwei Freunde im Gespräch. Der Ältere schien den Jüngeren zu fesseln. In meinem ganzen Leben hatte mir noch nie jemand so zugehört.
Es ist schwer zu beschreiben, zu erklären und zu verstehen, aber nach und nach fand ich Gefallen an diesem Austausch. Meine Worte brachten niemanden um, fügten niemandem Leid zu, schickten niemanden ins Gefängnis.
»Du wirst den Kerl sicher mögen«, hatte Waldner gesagt. Und ich hatte gleichgültig abgewunken.
Manchmal brachte Honoré mich sogar zum Lächeln.
»Findest du nicht, dass man die Protestanten ausschließt, wenn man seine Partei ›Sinn Féin‹ nennt?«
»Wieso ausschließt?«
»Nun, wer sich ›wir allein‹ nennt, schließt andere aus!«
»›Wir selbst‹, Honoré«, korrigierte ich lächelnd. »›Sinn Féin‹ heißt auf Gälisch ›wir selbst‹. Wir werden uns selbst befreien.«
Er notierte es, verzog aber das Gesicht und kreiste das Wort schwarz ein.
»Wenn ich etwas einkreise, muss ich es noch überprüfen«, hatte er einmal erklärt.
»Du kreist ziemlich viel ein …«
»Stimmt.«
Die große Frage für den britischen Agenten war unsere wahre Haltung zu einem möglichen Waffenstillstand. Unsere Zeitungen, Versammlungen, Demonstrationen forderten einen dauerhaften Frieden. Er wollte wissen, ob das bloß für die Öffentlichkeit gedacht war oder uns wirklich antrieb.
»Wie könnt ihr Dinge predigen wie: ›Das Gewehr in der einen Hand, den Wahlschein in der anderen‹?«
Ich erklärte es ihm, wie ein Mann einem Kind. Wir hatten Zeit und ich war geduldig. Ja, die republikanische Bewegung sei bereit, über einen Frieden zu reden, aber wir brauchten ein starkes Signal aus London. Ohne so ein Signal würde uns das Volk selbst verbieten, die Waffen niederzulegen.
»Jetzt, nach den Hungerstreiks?«
Ich sah ihm direkt ins Gesicht. Die Kontakte zwischen London und der IRA seien nie abgerissen. Nicht einmal während Bobbys Todeskampf, nicht einmal nach seinem Tod unddem vieler Kameraden. Immer habe es Mittel und Wege der Kommunikation zwischen beiden Lagern gegeben. Das wisse er genauso gut wie ich. Also könne er auch mit seinen Fangfragen aufhören.
»Was für ein starkes Signal?«
»Eine Geste für die Gefangenen.«
»Eine Geste?«
»Oder ein Zeichen, ein Wort, ein Satz, der allen einen ehrenhaften Ausstieg ermöglicht.«
»Dafür ist es zu früh.«
»Dann eben mit der Waffe in der Hand …«
Er schrieb den Satz auf und strich ihn gleich wieder durch. Wir wussten beide, dass Nordirland keinen militärischen Sieg erringen würde. Die IRA konnte das britische Militär nicht vertreiben. Nach den Kämpfen gegen die Urgroßeltern, die Eltern und die Söhne würden die Briten eben auch gegen unsere Kinder und Kindeskinder kämpfen müssen. Er nickte und sah mich an. Etwas blitzte in seinen Augen auf. Neugier, Interesse, vielleicht sogar Sympathie, das fand ich lange nicht heraus. Eines Tages fragte er mich, warum wir diesen Krieg führten.
»Gott hat uns zu Katholiken gemacht, das Gewehr hat uns zu Gleichen gemacht«, antwortete ich.
Er kreiste den Satz ein – nur um mich zum Lächeln zu bringen.
1991 wechselten wir vom Campus in die roten Touristenbusse, die aus England importiert worden waren.
»Morgen, fünfzehn Uhr, Times Square«, sagte er in Anspielung auf die Doppeldecker in seiner Heimat.
Winters wie sommers gingen wir immer nach oben, an die frische Luft. Wählten unsere unmittelbaren Nachbarn mit Bedacht. Asiaten oder Nordafrikaner waren uns am liebsten. Sprachen sie Englisch miteinander, suchten wir uns einen anderen Platz. Honoré saß immer außen, ich immer am Gang, damit man mich nicht von der Straße aus sehen konnte. Es war eine geführte Stadtrundfahrt. Mit Musik und touristischen Informationen. Jeder Reisende bekam Kopfhörer. So konnten wir ungestört halblaut sprechen. Honoré stieg am Louvre aus, ich bei der Oper. Ohne Verabschiedung. Bis zum nächsten Mal.
Auf dem Rückweg zu dem Versteck ging ich manchmal an Antoines Werkstatt vorbei.Ich beobachtete ihn von der Straße aus durch das Fenster im Erdgeschoss, hinter dem er sich mit dem Messer in der Hand über einen Geigenwirbel beugte. Oft blieben auch Bewohner des Viertels stehen, um ihm bei der Arbeit zuzuschauen. Die bemerkte er gar nicht, doch meine Gegenwart spürte er. Und hob den Kopf.
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