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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sorj Chalandon
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Sie schmückten sie mit Blumen und Girlanden, hissten unsere Nationalflagge an der Antenne, bestückten sie mit Lautsprechern, aus denen Rockmusik kam, und rollten mit aufheulendem Motor durch die nationalistischen Viertel.
    »Das ist Frieden, Tyrone«, sagte Sheila, wenn ein Panzer in festlicher Verkleidung an uns vorbeitobte.
    Sie nahm mich am Arm, lachte glücklich, hob die Hand.
    »Im Gegensatz zu euch haben sie sie ohne einen Schuss gekriegt.«
    Sie neckte mich, ich löste mich in einem Anfall falschen Zorns von ihr, schwenkte meine Mütze in der hochgereckten Faust und brüllte: »Hoch lebe die IRA!«
    Zurück von der Toilette, beobachtete ich Gerry Sheridans Tisch. »Die Auster« sprach mit Mickey, Stirn an Stirn. Dann wandte Gerry den Kopf ab. Und Mickey sah mich mit weißen Lippen an.
    Als Mickey aus dem Gefängnis kam, waren wir einander in die Arme gefallen. Von allen, die sich getroffen hatten, um Popeye, den Wärter, zu ermorden, war ich als Einziger davongekommen.Ich hatte Mickey ausgeliefert, Terry war ihnen kurze Zeit später in die Hände gefallen, und Jane, das Mädchen auf dem Fahrrad, das unsere Pistolen einsammeln sollte, ebenfalls. Auch unsere Verstärkung, die zwei Typen aus der Divis Road, hatten sie geschnappt.
    Mickey hatte unter der Folter geredet. Seinetwegen waren alle eingefahren, doch niemand war ihm je böse deshalb.
    Einmal, als er getrunken hatte, wunderte er sich öffentlich darüber, dass ich nicht festgenommen worden war.
    »Warum? Haben sie etwas über mich gewusst?«
    Mickey protestierte. Nichts! Sie hätten gar nichts gewusst, aber ich sei ja im Viertel bekannt gewesen, sie hätten sich also was denken können, mehr habe er nicht sagen wollen. Ich runzelte die Stirn. Ich erinnere mich genau an diesen Augenblick.
    »Bist du sicher, dass du mir nichts zu sagen hast, Mickey?«
    Mein Freund begann an Lippen und Hand zu zittern. Sie hatten ihm die Hälfte der Zähne ausgeschlagen, und einer seiner Arme war unbrauchbar. Er verstehe nicht, was ich damit meine. Nein, nein, das sei nicht so, schwor er. Er war in Panik. Ich fand mich mies, beschissen, gemeiner als den Teufel. Und ihn bemitleidenswert. Er hatte alles über mich erzählt, alles. Er hatte mich verraten bis aufs Blut, jede meiner Bewegungen, jeden meiner Gedanken. Die Briten hätten mich nur noch pflücken müssen wie eine Frucht. Wochenlang hatte er davor gezittert, dass ich an seiner Zelle vorbeikommen könnte. Hatte Angst gehabt, mein zerschmettertes Gesicht zu sehen und meinen Blick, der Rechenschaft von ihm verlangte. Dann hatte er jahrelang gehofft, dass ich eingesperrt würde. Weil er sich lieber meinem Zorn aussetzen wollte als an mir zu zweifeln. Er wartete vergeblich. So war ihm klar geworden,dass meine Freiheit etwas gekostet hatte. Und dass er der Preis dafür gewesen war.
    Als wir nach Mickeys Entlassung Arm in Arm das Gefängnis verließen, waren wir dennoch in Ketten. Er durch sein Geheimnis, ich durch meines. Verletzt durch dieses Schweigen, mussten wir uns dem Frieden stellen. Seither gingen wir einander aus dem Weg. Ich bin noch immer Tyrone, er ist noch immer Mickey, aber als wir die Waffen niederlegten, haben wir auch die Wahrheit begraben.
    Es konnte keine Verachtung sein. Verachtung? Für mich? Unmöglich! Wahrscheinlich hatte ich ein Männergespräch beobachtet. Eine nächtliche Beichte im Rausch. Mickey war seit neun Tagen Witwer. Ohne seine Frau und ohne den Krieg, hatte er vielleicht gesagt, sei sein Leben nichts mehr wert. Das war es, was ich gesehen hatte: Mickeys Traurigkeit und Verwirrung angesichts seines Verlusts und des Friedens.
    Später am Abend lief mir Mike O’Doyle über den Weg. Auch er beobachtete mich. Ging an seinen Tisch zurück und spähte mich über sein Glas hin an. Zwei Wochen später sollte er mich verhören. Sollte mich, einer lächerlichen Zeremonie folgend, nach meinem Namen, Vornamen und Geburtsdatum fragen. Und versuchen, mich zum Reden zu bringen.
    »Seit wann verrätst du uns, Tyrone?«
    Armer Junge, ganz steif neben dem alten Kämpfer, den er mit Fragen und Blicken anfuhr. Ob sie es an dem Abend schon wussten? Das habe ich ihn nie gefragt. Sheila betäubte sich. Einmal stieß sie gegen ihren Stuhl. Mike stand lachend auf, deutete ein paar Schritte mit ihr an und nahm seine schweigende Beobachtung wieder auf.
    Sie wissen es!
    Das war offensichtlich. Sie wussten es, alle. Die Hochzeit war eine Falle. Sheila hatte mich hergeschleppt, um mich zum Reden zu bringen. Ich goss

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