Rueckkehr nach River's End
Bäume umzingelten sie wie die riesigen Gitterstäbe eines uralten Gefängnisses. Frank hatte Weite und Lieblichkeit erwartet, statt dessen marschierte er unbehaglich durch eine fremde Welt, in der das Licht geheimnisvoll grün leuchtete und die Natur sich in unheimlichen, primitiven Formen offenbarte.
Selbst die Geräusche und Gerüche erschienen ihm fremd und überwältigend, und in der Luft lag Feuchtigkeit. Wahrscheinlich hätte er sich sogar in einer finsteren Gasse in East L. A. wohler gefühlt.
Er ertappte sich dabei, daß er immer wieder über die Schulter zurückblickte und sich nach dem beruhigenden Gewicht seiner Waffe sehnte.
»Hast du dich hier schon einmal verlaufen?« fragte er Olivia.
»Nein, aber es gibt natürlich Leute, denen das passiert. Als Anfänger sollte man immer einen Kompaß dabeihaben und die markierten Wege nie verlassen.« Sie hob ihr Gesicht und musterte ihn. »Vermutlich sind Sie ein Asphaltschleicher.«
Der Ausdruck ließ ihn grinsen. »Da hast du wahrscheinlich recht.«
Olivia lächelte, und ihre Augen leuchteten. »Tante Jamie sagt, daß sie sich zu einem Asphaltschleicher entwickelt hat. Aber in der Stadt kann man sich doch auch verlaufen, oder nicht?«
»Ja. Selbstverständlich.«
Sie sah fort und verlangsamte ihren Schritt. »Es ist nett von Ihnen, daß Sie hergekommen sind. Ich hatte nicht damit gerechnet. Ich war mir noch nicht einmal sicher, ob Sie sich überhaupt an mich erinnern würden.«
»Ich erinnere mich an dich, Liwy.« Leicht berührte er ihren Arm, spürte Härte und Beherrschung, die nicht zu einer Zwölfjährigen paßten. »Ich habe sogar oft an dich gedacht und mich gefragt, wie es dir geht.«
»Meine Großeltern sind toll. Ich bin gern hier. Ich kann mir nicht vorstellen, irgendwo anders zu leben. Viele Menschen kommen zu uns, um hier Urlaub zu machen, aber ich darf ständig hier sein.« Sie stieß die Worte sehr schnell aus, als ob sie alle Pluspunkte auflisten wollte, bevor sie das Thema wechselte.
»Sie haben eine nette Familie«, begann sie.
»Danke. Ich nehme an, ich werde sie behalten.«
Ihr Lächeln strahlte kurz auf und verschwand genauso plötzlich wieder. »Ich habe auch eine nette Familie. Aber ich... dort liegt ein Stück Totholz«, lenkte sie hastig ab, weil sich Nervosität in ihre Stimme geschlichen hatte. »Wenn ein Baum oder ein Ast auf den Boden stürzt, nutzt der Wald das Holz. Hier wird nichts verschwendet. Das ist eine Douglastanne, und auf ihr wachsen die Sprößlinge einer Hemlocktanne, außerdem Moos, Farne und Pilze. Wenn hier etwas stirbt, gibt es anderen Dingen die Chance zum Leben.«
Sie blickte wieder zu Frank auf, und ihre Augen schimmerten hinter einem Tränenschleier bernsteinfarben. »Warum musste meine Mutter sterben?«
»Das kann ich dir nicht beantworten, Livvy. Das Warum vermag ich nie wirklich zu beantworten, und das ist für mich der schwierigste Teil meiner Arbeit.«
»Sie war doch gut und schön, nicht wahr?«
»Ja, das war sie.«
Mit einem Nicken ging Olivia weiter und sprach erst wieder, als sie sich sicher war, ihre Tränen unter Kontrolle zu haben. »Aber mein Vater war anders. Er kann nicht gut und schön gewesen sein, nicht wirklich. Trotzdem hat sie sich in ihn verliebt und ihn geheiratet.«
»Dein Vater hatte Probleme.«
»Drogen«, bemerkte sie knapp. »Das habe ich in den Zeitungen gelesen, die meine Großmutter auf dem Dachboden verstaut hat. Er hat Drogen genommen und sie getötet. Er kann sie nicht geliebt haben, er hat keine von uns beiden geliebt.«
»Livvy, das Leben ist nicht immer so einfach, man kann die Dinge nicht nur schwarz und weiß sehen.«
»Wenn man jemanden liebt, sorgt man für ihn. Man beschützt ihn. Wenn man ihn genug liebt, beschützt man ihn mit seinem Leben.« Ihre Stimme klang hart. »Er behauptet, daß er es nicht getan hat. Aber er war es. Ich habe ihn gesehen. Sobald ich es zulasse, kann ich ihn immer noch sehen.« Sie presste die Lippen aufeinander. »Mich hätte er auch getötet, wenn ich ihm nicht entwischt wäre.«
»Ich weiß nicht. Es ist möglich.«
»Sie haben mit ihm gesprochen, nachdem es vorbei war?«
»Ja. Das gehört zu meinem Job.«
»Ist er verrückt?«
Frank öffnete den Mund, klappte ihn wieder zu. Für diesen Fall hatte er keine Patentantwort parat. »Das Gericht glaubte es nicht.«
»Und Sie?«
Frank stöhnte. Inzwischen konnte er erkennen, daß sie im Kreis gegangen waren, entdeckte den Dachfirst, die glänzenden Fenster des
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