Rückkehr nach St. Elwine
Leider war dem nicht immer so. Die Gerüchteküche, in einer so kleinen Stadt, brodelte schnell hoch und kochte dann leicht über. Ihren Bruder schien es indes nicht zu stören. Sollten doch alle denken was sie wollten und basta! Er war reich, intelligent und atemberaubend gut aussehend. Bereits als Junge hatten Frauen ihn mit dem gewissen Blick fixiert. Da ergab es sich zwangsläufig, dass er als Aufreißer abgestempelt wurde. Die Attribute, die er vorzuweisen hatte, stimmten und so machten sich die meisten Menschen nicht einmal die Mühe, auf sein wahres Wesen zu schauen. Natürlich kannte Josh die Vorurteile seiner Mitmenschen. Er nährte sie nicht, tat aber auch nichts dafür, um das Bild, das in der Öffentlichkeit über ihn entstand, zurechtzurücken. Joshua Tanner ignorierte es schlichtweg. Mag sein, dass ihm diese Fähigkeit, die anscheinend nur Männern eigen ist, ermöglicht hatte, mit dem Kummer fertig zu werden.
Angelina war froh, dass er ihr Bruder war. Sie liebte ihn mehr als sie sagen konnte und die Gewissheit, dass es umgekehrt eben so war, erfüllte sie mit tiefem Frieden.
„ Tag, Josh, bleibst du zum Essen?“ Alex, sein Schwager schlenderte in die Küche.
„ Das will ich doch hoffen. Schließlich habe ich die Zwiebeln geschnitten.“
„ Eine Hitze war das heute wieder. Wie könnt ihr das nur immer so klaglos ertragen?“
Alex hatte seine Kindheit und Jugend in Kanada verbracht, wo die Temperaturen nur an wenigen Wochen des Sommers, über 30°C erreichten.
„ Magst du ein kühles Bier?“ Alex reichte ihm bereits eine Dose.
„ Da sag ich nicht nein. Mein liebes Schwesterlein hat mir bis jetzt noch nichts zu Trinken angeboten.“ Josh warf Angelina einen Seitenblick zu.
„ Du bist hier praktisch zu Hause. Da kannst du dich schließlich selbst bedienen“, schoss sie zurück.
„ Komm, lass uns nach draußen gehen!“
Alex winkte lässig und die Männer verschwanden.
Angie stapelte Gläser, Dessertschalen, einen großen Krug Limonade und Teller auf ein Tablett. Währenddessen wanderten ihre Gedanken in die Vergangenheit ab.
Ihre Ausbildung zur Immobilienkauffrau war nahezu abgeschlossen. Sie steckte mitten im praktischen Jahr bei Stoller & Dieckman.
Es war Halloweenabend und sie wollte zur Party zu Freunden. Sie hatte allerdings den Auftrag erhalten, vorher noch einige Akten abzulegen. Verspätet kam sie zur Feier und schnappte sich ein Glas Rotwein, das ihr sofort jemand vor die Nase hielt. Da sie jedoch noch mit dem Wagen raus nach Tanner House fahren musste, beließ sie es, vernünftigerweise, bei diesem einen Glas.
Irgendwann nach Mitternacht machte sich Angelina auf den Weg nach Hause. Sie fuhr an Marthas Pub vorbei und bemerkte, dass der Wagen ihres Bruders noch dort parkte. Um diese Uhrzeit waren die Straßen praktisch wie ausgestorben und wie sie Josh kannte, würde der sich tatsächlich noch hinter das Steuer setzen, auch wenn er ein paar Promille zu viel im Blut hatte. Kurz entschlossen stoppte sie den Wagen, stellte ihn am Straßenrand ab und ging in den Pub.
„ Oh, oh“, hörte sie einige der Jungen stänkern. „Das liebe Schwesterlein naht.“
Angelina konnte nicht genau ausmachen, wer da gerade seine Weisheiten von sich gab, aber sie vermutete, dass es sich, der großen Klappe wegen, dabei um Marc handelte.
Jedenfalls fuhr Joshs Kopf sofort herum. Berücksichtigte man die Anzahl der Gläser, die auf dem Tisch standen, waren sie alle zusammen in einem mehr als fragwürdigen Zustand.
Sie hielt ohne Umschweife auf ihr Ziel zu.
„ Wie sieht ’s aus? Soll ich dich mit nach Hause nehmen?“, wandte sie sich an Josh und versuchte dabei, die anderen Jungen zu ignorieren.
Im Mundwinkel hatte ihr Bruder doch tatsächlich eine von diesen grässlich stinkenden Zigarren. Normalerweise rauchte er gar nicht.
„ Jetzt schon?“, murrte er und blinzelte angestrengt auf seine Armbanduhr.
„ Hör mal, die Geisterstunde ist bereits um“, versetzte Angelina.
Der dickliche Michael zog eine Grimasse und murmelte etwas Anzügliches in die Runde, woraufhin die Bengels, wie auf ein Kommando hin, losbrüllten.
Sie warf Josh hastig einen bittenden Blick zu. Er nahm ihn wahr und drückte den Zigarrenstummel in den Aschenbecher. Dann erhob er sich leicht schwankend.
Angelina atmete erleichtert aus. Wie ungewöhnlich, dass er es ihr heute so einfach machte.
„ Du willst doch nicht wirklich schon gehen?“ Marc sah ihn ungläubig an.
Wütend schoss ihr Kopf zu ihm herum und
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