Rückkehr nach Wedenbruck
suchen - und eine Trainerin für den Turnierstall dazu.“ Von sich selbst sprach er nicht.
„Und? Was soll ich nun tun? Ich bin total durcheinander!“, stöhnte Bille. „Im Moment habe ich das Gefühl, als hätte ich das alles nur geträumt.“
„Tu, was er dir geraten hat!“, sagte Simon ernst. „Nimm dir die Zeit, alles in Ruhe zu überdenken. Es ist eine unglaubliche Chance.“
„Ich habe so gehofft, du würdest mir helfen, mich beraten, unterstützen! Simon! Selbst wenn ich das Angebot annehmen würde, wie soll ich wirklich beurteilen, ob ich den Job schaffen kann? Wie soll ich sicher sein, dass ich nicht viel zu jung und zu unerfahren bin! Die überschätzen mich total. Sie kennen mich doch gar nicht!“
„Deine Begabung spricht sich eben rum. Und es spielt überhaupt keine Rolle, wie alt du bist oder welche Zeugnisse du vorweisen kannst! Es geht einzig und allein darum, dass du den sechsten Sinn für den Umgang mit Pferden hast! Und dazu bald zehn Jahre intensivster Praxis als Schülerin von Hans Tiedjen, vergiss das nicht. Du bist die Richtige für diesen Job, ohne jeden Zweifel! Und vor allem eines, Bille: Denk bitte nicht, du wärst irgendjemand hier verpflichtet. Aus Dankbarkeit ... oder Liebe. Du bist es nicht. Es geht hier nur um deine Zukunft, okay?“
Bille stöhnte. „Mir ist schlecht. Ich glaube, ich muss wirklich erst mal schlafen.“
Aber auch am nächsten Morgen sah sie nicht klarer. Und weder Hannes noch Mutsch und Onkel Paul waren bereit, ihr zu sagen, was sie tun sollte. Sie sei erwachsen, hieß es, und es sei allein ihre Entscheidung, die könne ihr niemand abnehmen.
Die nächsten Tage war Bille auffallend schweigsam und geistesabwesend. Im Grunde ihres Herzens war sie sich sicher, dass sie Groß-Willmsdorf um keinen Preis verlassen wollte. Aber immer wieder meldete sich eine innere Stimme zu Wort, die ihr das Leben auf dem großen, renommierten Gestüt in den schönsten Farben ausmalte. Durfte man eine solche Chance überhaupt ausschlagen? War es nicht eine Auszeichnung für Daddy, wenn sie die Karriereleiter so schnell erklomm? Man wusste dort von ihrer Arbeit, ihren speziellen Methoden, und wollte sie gerade deshalb einstellen. War das nicht eine fabelhafte Gelegenheit, diese Methoden weiterzuverbreiten?
Wenn sich nur Simon nicht so zurückgehalten hätte! Es schien, als ginge er tatsächlich auf Abstand. Wollte er ihr wirklich nur die Möglichkeit geben, sich ohne Rücksicht auf ihn zu entscheiden? Oder war es ihm ganz recht, wenn sie nach England ging und er sich nicht mehr an sie gebunden fühlen musste?
Von Stunde zu Stunde wurde Bille ratloser. Nachts konnte sie nicht mehr schlafen. Ihre Gedanken liefen hoffnungslos im Kreis, und die Entscheidung schien zu einer unüberwindbaren Mauer zu werden. Noch nie hatte sie sich so hilflos gefühlt.
Beim Frühstück sah Mutsch sie besorgt an. „Ich glaube, du hast in der Woche schon drei Kilo abgenommen. Und essen tust du wie ein Spatz. So kann das doch nicht weiter gehen, Kind!“
„Ich weiß“, sagte Bille müde und schob ihren Teller mit dem halb gegessenen Brötchen von sich weg. „Dann sag du mir doch, was ich tun soll!“
„Das kann ich nicht, Bille. Und wenn ich es täte, wäre es garantiert das Falsche.“ Ihre Mutter stand auf und ging in den Garten hinaus, um frische Körner ins Vogelhäuschen zu streuen. Über Nacht hatte es Schnee gegeben, Bäume, Sträucher und der Rasen waren unter einer dicken weißen Decke verborgen. Und es war kalt geworden.
In Südengland gab es selten Schnee, da war das Wetter meistens milde. Bille holte sich den Bildband über die schönsten Gestüte Europas aus dem Wohnzimmer und schlug ihn auf. Die Seiten fielen automatisch an der richtigen Stelle auseinander, so oft hatte sie die Bilder betrachtet und den kurzen Begleittext gelesen. Außerdem kannte sie das Gestüt auch von Fotos her, die sie bei Daddy gesehen hatte. Eine vorbildliche Anlage, die von fürstlicher Großzügigkeit war. Daddy hatte sie ihr genau beschrieben. Dagegen musste Groß-Willmsdorf armselig wirken. Onkel Paul hatte ihr vorgeschlagen, für ein paar Tage nach England zu fliegen und sich alles anzusehen. Doch sie scheute sich davor. Würde es ihr die Entscheidung nicht noch schwerer machen?
Unschlüssig legte sie das Buch zur Seite und stand auf. Es war höchste Zeit, zum Training nach Groß-Willmsdorf hinüberzufahren.
Im Stall herrschte Ruhe. Simon war bereits drüben in der Halle, und Hubert brachte
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