Rückkehr nach Wedenbruck
aus, dass es ihr das Herz zusammenschnürte. Mit Tom hatte das nichts zu tun, das spürte sie. Sie war überzeugt davon, dass Daddy längst etwas von seinen Plänen gewusst hatte. Und sie glaubte ihm, wenn er sagte, er freue sich für Tom. Es musste noch etwas anderes geben, was ihn bedrückte.
Als sie zwei Stunden später in dem behaglichen Lokal bei Kerzenschein zusammensaßen und mit dem ersten Schluck Wein anstießen, löste sich das Rätsel. Hans Tiedjen wirkte gefasst, als er jetzt einen Brief aus der Jackentasche zog und ihn Bille zeigte.
„Halt!“, sagte er, als sie danach greifen wollte. „Was in diesem Brief steht, wird dich vermutlich ziemlich aus der Fassung bringen. Deshalb musst du mir vorher hoch und heilig versprechen, dass du die Angelegenheit mindestens eine Woche überschläfst, bevor du dich entscheidest.“
„Der Brief betrifft mich?“ Wieder griff Bille danach.
„Ja. Aber da ich dein Chef bin, ist er zunächst an mich gerichtet worden. Erst das Versprechen!“
„Also gut. Ich verspreche es. Eine Woche überschlafen.“ Bille kicherte nervös, als sie den Brief in den Händen hielt und ihn auseinander faltete.
Das Schreiben kam von einem der bedeutendsten privaten Gestüte Englands. Bille wusste, dass Daddy Tiedjen mit den Besitzern seit langem gut befreundet war und dass er verschiedentlich Kurse dort abgehalten hatte. Es enthielt eine Anfrage, ob Hans Tiedjen seine bei ihm unter Vertrag stehende Schülerin Sibylle Abromeit freigeben würde, damit sie als Chefausbilderin für das genannte Gestüt tätig werden könne. Bei dem angebotenen Gehalt stockte Bille der Atem.
„Die sind ja verrückt! Nie, Daddy! Ich schwöre dir, das mache ich nicht! Außerdem bin ich viel zu jung für den Job. Wie kommen die überhaupt auf mich?“
„Nun, das hat offensichtlich mit einer jungen Dame zu tun, mit der du in New Mexico zusammengearbeitet hast. Sie hat deine Fähigkeiten bis in den Himmel gelobt. Mit Recht, wenn du mich fragst. Abgesehen davon wissen sie natürlich, dass ich dich jahrelang streng an die Kandare genommen und dich zu einer möglichen Nachfolgerin für mich ausgebildet habe. Aber denk an dein Versprechen, Bille! Eine Woche lang kein Wort darüber. Und wenn du die Vorteile und Nachteile gegeneinander abwägst, solltest du dir bewusst sein, dass dieses Angebot eine Chance ist, die dir vielleicht nur einmal im Leben geboten wird. Es ist ein Traum-Vertrag, er kann dir für den Rest deines Lebens eine überragende Karriere sichern. Bedenke das! So, und nun lass uns das Essen genießen und über andere Dinge reden.“
Bille seufzte tief. Über andere Dinge reden, wenn man so eine Nachricht zu verdauen hatte! Aber als gleich darauf die köstliche Vorspeise serviert wurde, schob sie alle Gedanken an ihre Zukunft erst einmal weit fort. Der Tag hatte so viele Aufregungen gebracht, dass es ihr vorkam, als wirbelten ihre Gedanken wie beim Schleudergang einer Waschtrommel durcheinander. Alles, was bisher seine feste Ordnung gehabt hatte, schien mit einem Mal auf dem Kopf zu stehen. Da konnte man nichts Vernünftigeres tun, als sich auf das Nächstliegende zu konzentrieren. Und das war in diesem Fall ein köstliches Abendessen mit Daddy. Schon seinetwegen wollte sie zeigen, wie sehr sie es genoss. Sie wusste, dass es ihn besonders freute, wenn jemand das Vergnügen an einem gepflegten Essen und einem guten Glas Wein mit ihm teilte.
„Das“, sagte sie und kostete genießerisch von der
Lachspastete auf ihrem Teller, „wäre ein weiterer Beweis dafür, dass ich deine Tochter bin: Mein Spaß an gutem Essen.“
Eine endlose Nacht
Natürlich erzählte Bille Simon noch am selben Abend von dem Traumjob in England. Sie saßen in der Wedenbrucker Küche und tranken einen Kräutertee, den Mutsch ihnen schnell bereitet hatte, bevor sie und Onkel Paul zu Bett gingen.
Zu Billes Überraschung wusste Simon schon von dem Angebot. Hans Tiedjen hatte den Brief gerade erhalten, als er ihn am Mittag aufgesucht hatte, um mit ihm über das Training der Kundenpferde zu sprechen.
„Er wollte es dir selber sagen, deshalb habe ich den Mund gehalten“, erklärte Simon Bille auf ihre Frage. Er hielt den heißen Becher umklammert, als ob er fröre. Sein Gesicht war sehr blass . „Kann man ja verstehen. Schließlich ist er nicht nur dein Ersatzvater, sondern auch dein Boss. Und wenn er dich verliert, hat das für ihn weit reichende Folgen. Ich meine, er muss sich eine neue Reitlehrerin für die Schule
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