Rückkehr nach Wedenbruck
Gespräch stattgefunden und Hans Tiedjen seine Zustimmung zu Toms Plänen gegeben hatte, gab es keinen Grund mehr, die Sache geheim zu halten.
Simon starrte eine Weile nachdenklich vor sich auf den Boden. „Der Glückliche!“, seufzte er schließlich.
„Was hast du gesagt?“ Bille sah ihn fassungslos an. „Was meinst du damit?“
„Ach, nichts.“
„He! Sag mir sofort, was los ist! Du machst ein Gesicht, als ginge morgen die Welt unter! Weil Tom und Bettina heiraten? Weil sie nach Kanada gehen? Oder weil Tom einen super Job hat und bald Geld verdienen wird? Sogar ziemlich viel, nehme ich mal an.“
Simon sah sie an. „Wenn du’s genau wissen willst: Weil Tom den Mut hatte, seinem Vater zu sagen, dass er andere Pläne hat. Eigene Pläne. Und dass er sie verwirklicht, auch wenn er seinem Vater damit wehtut.“
„Moment mal!“, sagte Bille. „Soll das heißen, dass du eigentlich gar nicht Tiermedizin studieren willst? Dass du viel lieber was anderes machen möchtest? Warum hast du das nie gesagt? Wenigstens mir!“, fügte sie irritiert hinzu.
„Weil es sinnlos wäre. Warum über etwas reden, was man nicht ändern kann? Der Traum meiner Eltern ist es nun mal, dass wenigstens einer ihrer drei Söhne Akademiker wird. Dass Daniel Landwirt wurde, war ja klar, schließlich übernimmt er das Gut. Aber nachdem Flori es nun auch vorzieht, Banker zu werden oder in die Wirtschaft zu gehen ...“
„Und ich habe immer gedacht, es sei dein eigener Wunsch gewesen, Tierarzt zu werden.“ Bille schüttelte ratlos den Kopf.
„Am Anfang war es das ja auch. Aber je länger ich in diesen Vorlesungen hocke, desto deutlicher spüre ich, dass das nicht mein Weg ist. Ach, vergiss es.“ Simon trabte energisch an. „Es ist sowieso sinnlos, darüber zu diskutieren. Ich werde Tierarzt und damit basta. Das Thema ist erledigt, okay?“
„Okay.“
Bille fühlte sich kreuzunglücklich. Dabei konnte sie nicht einmal sagen, warum. Weil Simon ihr nie von seinen Zweifeln erzählt hatte? Weil er sich weigerte, mit ihr darüber zu sprechen? Oder nur, weil es ihr wehtat, dass er so unglücklich war? Sie beendete schweigend ihre Arbeit und versorgte die Pferde, dann ging sie zu Hans Tiedjen hinauf.
Er sah müde aus. Sein Gesicht wirkte ungewöhnlich eingefallen und alt. Trotzdem ging er ihr lächelnd entgegen, als sei nichts passiert.
„Na, Reiterlein ? Du siehst nicht gerade glücklich aus. Kann ich etwas für dich tun?“
„Wir sehen beide nicht glücklich aus, Daddy! Mich hat die Neuigkeit auch nicht gerade aufjubeln lassen.“
„Du sprichst von Tom? Ach, weißt du, damit habe ich seit langem gerechnet. Er ist viel zu begabt, um hier auf dem Land zu versauern. Ich denke, wir werden alle noch staunen, was er zu Stande bringt. Und er ist ja nicht aus der Welt. Ich habe schon lange den Wunsch, Kanada einmal wieder zu sehen. Komm, nimm Platz, trinken wir erst mal einen Tee.“ Hans Tiedjen setzte sich Bille gegenüber in seinen Sessel und schenkte ihr aus der bereitstehenden Kanne ein. Dann schob er ihr Zucker und Sahne hinüber. „Wie wäre es, wenn ich dich heute Abend zum Essen ausführe, Reiterlein . Wie in guten alten Zeiten? Wir zwei ganz allein - in die ,Kupferkanne' in Neukirchen zum Beispiel?“
„Au ja! Nur wir zwei? Ohne Simon und die anderen?“
„Ohne Simon, Tom und die anderen. Ich möchte mich mal wieder in Ruhe mit dir unterhalten. Seit Wochen sind wir nicht mehr dazu gekommen. Ich denke, es wird uns gut tun.“
„Sicher!“, sagte Bille zuversichtlich. „Wir sind doch ein Spitzen-Team, Daddy, oder?“
Hans Tiedjen blieb die Antwort schuldig. In Gedanken versunken sah er Bille lange an. „Wie?“, fuhr er schließlich auf. „Entschuldige. Natürlich sind wir das. Weißt du - manchmal fällt es mir schwer zu glauben, dass du nicht meine Tochter bist.“
„Du sagst das so ernst?“
Wieder schwieg Hans Tiedjen. Bille wurde es fast ein bisschen unheimlich. Irgendetwas lag in der Luft, sie spürte es. Etwas, das er ihr sagen wollte - und das er sich scheute auszusprechen. Noch eine schlechte Nachricht? Bille sprang auf. „Ich geh schnell Mutsch anrufen, dass ich nicht zum Abendessen komme.“
„Ja, tu das. Oder nein, am besten, du fährst jetzt nach Hause und ziehst dich um, und ich hole dich in einer Stunde ab.“
„Okay.“ Bille trank ihren Tee im Stehen aus und wandte sich zur Tür. Sie ging ungern. Von ihrem väterlichen Freund strömte auf einmal eine solche Trauer und Niedergeschlagenheit
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