Rücksichtslos
Zunächst wurde der nackte Oberkörper einer jungen Frau sichtbar, kurz darauf ein fahles Gesicht, das von mittellangen, braunen Haaren umgeben war. Noch im Tod wirkte es schmerzverzerrt.
Auch diese Frau wurde viel zu früh aus dem Leben gerissen. Katharina keuchte. Pohl war mit dem unteren Plastiksack genauso verfahren, und sofort wurde eine quer über den Unterbauch verlaufende klaffende Wunde sichtbar, die an den Rändern seltsam ausgefranst war.
„ Tja. Da hat wohl jemand einen Kaiserschnitt durchgeführt. Sieht professionell aus. Wer auch immer das gemacht hat, wusste genau, wo und wie er das Messer ansetzten musste.“ Pohl tastete den Bauch rund um den Schnitt ab. „Entweder Leichenstarre oder durch Frost konserviert.“
„ Warum sieht die Wunde so zerrissen aus?“
„ Da könnte ein Fuchs Hunger bekommen haben. Am linken Fuß kann man auch Fraßspuren erkennen.“
Katharina verzog angeekelt das Gesicht.
Wortlos schloss Pohl diese erste Untersuchung ab. Anschließend zog er die Handschuhe aus und steckte sie in einen Müllbeutel. Er klärte mit Zilinski ab, dass einer seiner Leute nach Ankunft in der Rechtsmedizin die blaue Wanne untersuchen sollte. Dann wurden die Leichen abtransportiert.
Katharina blickte sich in der näheren Umgebung um. Hinter dem Gestrüpp war gelbes Absperrband an verrosteten Metallstäben befestigt. Dahinter wirkte der Wald unberührt. Das Tauwetter hatte überall im Schnee kleine Löcher hinterlassen.
„ Wer hat die Leiche gefunden?“, fragte sie einen Polizisten.
„ Ein Herr Kramer, der mit seinem Hund unterwegs war. Er müsste dort drüben sein.“ Er deutete mit der Hand in Richtung des Waldweges, von dem aus sie zum Fundort gelangt waren. Katharina bedankte sich und ging. Thomas sprach bereits mit ihm, und sie stellte sich dem aufgeregten Mann ebenfalls vor.
„ Kaspar ist mit einem Mal losgesprungen und hat ganz aufgeregt gebellt. Ich bin ihm natürlich sofort nach“, sprudelte der kleine, drahtig wirkende, ältere Mann los. Bei Kaspar handelte es sich um einen großen Hund, der eine Mischung aus einem Bernhardiner und einem Schäferhund zu sein schien.
„ Ist Ihnen etwas aufgefallen, als Sie den Weg verlassen haben?“
„ Nein. Meinen Sie etwas Bestimmtes?“
„ Spuren im Schnee.“
„ Ich habe, ehrlich gesagt, nicht darauf geachtet.“ Herr Kramer wirkte verlegen. „Ist das schlimm?“
„ Nein“, beruhigte sie ihn.
„Als ich hier oben ankam, habe ich Kaspar gefunden. Er zerrte an dieser Plastiktüte herum. Und plötzlich fiel diese Hand heraus. Ich habe den Schock meines Lebens bekommen, Kaspar von der Leiche weggezerrt und die Polizei angerufen. Zum Glück habe ich immer mein Handy dabei.“
Katharina bedankte sich.
„ Hast du Arnold gesehen?“, fragte sie Thomas.
„ Nein. Das heißt, er steigt gerade in sein Auto.“
Nachdem sie seinem Blick gefolgt war, rannte sie die etwa fünfzig Meter zu Arnolds Auto. Völlig außer Puste erreichte sie ihn, als er gerade den Anlasser betätigte. Die Lungenent zündung hatte sie mehr von ihrer Kondition gekostet, als sie es jemals für möglich gehalten hätte. Das Fenster wurde geöffnet.
„ Gibt’s noch was?“
„ Ja. Kann ich mal die Bilder sehen, die du gemacht hast?“
„ Klar.“
Der Motor verstummte und Arnold stieg aus, um seine Kamera aus dem Kofferraum zu holen.
„ Welche willst du sehen?“
„ Mich interessieren die Bilder, die du zwischen dem Feldweg hier und dem Fundort geschossen hast.“
„ Okay. Die ersten habe ich direkt hier gemacht, weil hier der Hund in den Wald gestürmt ist.“
Katharina erkannte die Hundespuren im Schnee und daneben oder zum Teil überlappend Fußspuren von zwei Personen. Die auch wieder zurückführten. Die des Halters – aber von wem waren die zweiten? Aktuell war alles zertrampelt, und an einigen Stellen schaute bereits der dunkle Waldboden durch. Als hätte Arnold ihre Gedanken gelesen, erklärte er ihr, dass die Spuren von einem der Polizisten stammten, die als erste hier eingetroffen waren.
„ Ich war ziemlich schnell hier, bin zeitgleich mit der Spusi eingetroffen. Bis auf diese Abdrücke und ein paar Tierspuren war der ganze Bereich zwischen dem Feldweg und den Leichen jungfräulich. Die nächsten Bilder habe ich ein Stück rechts von hier und dann noch welche links von hier gemacht. Dort sind kleinere Schneisen, die in Richtung Fundort führen.“
Die nächsten Minuten verbrachte Katharina damit, die Fotografien mit den
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