Rücksichtslos
ich deiner Meinung“, antwortete Katharina. „Genau das ist es, was das Raffinierte ausmacht. Aber ich bin mir noch unschlüssig, ob das, was ich gerade denke, wirklich sein kann.“
Die Tür ging auf. Staatsanwalt Gruber walzte mit seinem massigen Körper und einem hochroten Kopf herein und ließ sich schwer atmend auf einen Stuhl fallen. Katharina hielt unwillkürlich die Luft an, da sie befürchtete, dass dessen Metallbeine sich unter dem Impuls biegen oder gar zerbrechen würden. Doch erstaunlicherweise blieb er unversehrt. Gruber schnaufte, als hätte er einen Hundertmeterlauf hinter sich gebracht.
„ Sind Sie okay?“, fragte Thomas besorgt.
„ Ja. Ja. Mein Arzt hat mir geraten, etwas abzunehmen und mich mehr zu bewegen. Von Sport hat er geredet. Sport! Ich habe in meinem ganzen fast sechzigjährigen Leben noch nie Sport getrieben. Aber er hat ja recht. Und deswegen nehme ich jetzt die Treppe.“
„ Und was führt Sie zu uns?“, fragte Alfred.
„ Mein verehrter Kollege, Herr Sandfordt, hat mich darum gebeten.“
So so. Katharina bezweifelte, dass Sandfordt überhaupt jemanden um etwas bitten konnte.
Und als hätte Gruber ihre Gedanken gelesen, fügte er hinzu: „Naja. Gebeten ist vielleicht übertrieben.“ Er grinste und kramte einen Notizzettel aus der Innentasche seines dunklen Sakkos. „Er hat heute Urlaub. Ich soll Ihnen etwas ausrichten und habe es mir extra aufgeschrieben, damit ich es auch ja richtig wiedergebe. Zitat: ‚Wenn Sie das nächste Mal eine Verhaftung vornehmen, dann holen Sie bitte vorher die Erlaubnis dafür ein.‘“
„ Was soll denn das bedeuten?“ Katharina war wütend. Dieser Lackaffe.
„ Lassen Sie mich bitte ausreden. Mein Kollege sagte: ‚Die Verhaftung von Herrn Dr. Jürgen Hagen ist lächerlich und an den Haaren herbeigezogen. Selbstverständlich wurde er umgehend auf freien Fuß gesetzt.‘“
„ Natürlich nach einer Befragung durch den Herrn Staatsanwalt Sandfordt? Und nachdem festgestellt wurde, dass seine Fingerabdrücke nicht mit denen auf dieser Spritze überein stimmen?“, fragte Thomas.
„ Nein“, antwortete Gruber.
„ Nein? Wann wurde er entlassen?“, fragte Katharina, merklich entsetzt, nach. Thomas saß kopfschüttelnd und mit zusammen gepresste m Kiefer neben ihr.
„ Gestern Abend. Ungefähr eine Stunde nach seiner Verhaftung.“
„ Hä?“ Katharina verstand gar nichts mehr. „Ich gebe ja zu, dass unsere Beweise nicht ausreichend waren, um ihn lange festzuhalten. Aber die Verbindung zu den Morden lag doch auf der Hand. Er hätte ihn wenigstens dazu befragen können.“
Gruber druckste ein wenig herum. „Er hat sich ein wenig verplappert. Wenn ich es richtig verstanden habe, erhielt sein Vater einen aufgebrachten Anruf vom Vater des Verhafteten. Einer, wie Sandfordt meinte, einflussreichen Persönlichkeit und gutem Freund der Familie.“
„ Diese Väter werde ich mir mal vornehmen“, murmelte Katharina.
„ Das wird schwierig. Beide wohnen in Berlin und sind dort beratend für die Regierung zuständig.“
„ So? Was raten sie denn?“
„ Ich meine, es geht um ethische Fragen, Forschungsfragen. Etwas in der Art.“
„ Toll . “ Alfred war nun sehr schlecht gelaunt und ließ dies an der Papierkugel aus, die er gerade bearbeitete. „Das heißt, der Herr Anwalt erhält von Papi einen Anruf und lässt sofort unseren bislang einzigen Verdächtigen laufen.“
„ Mein junger Kollege ist vielleicht manchmal etwas zu stürmisch und voreilig“, meinte Gruber besänftigend. „Ich bin mir sicher, dass er den Mörder dieser jungen Frauen auch so schnell wie möglich fangen will.“
„ Klar. Solange wir keinen der hochgeschätzten Freunde seiner Familie ins Visier nehmen. Pah. Auf so einen kann ich verzichten.“ Auch Thomas war stinksauer.
Gruber fügte noch hinzu, dass Jürgen Hagen von ihm zur Auflage bekommen hatte, sich in Frankfurt aufzuhalten, als Thomas’ Telefon klingelte. An seinem Gesichtsausdruck erkannte Katharina sofort, dass wieder etwas passiert war.
*
S i lvester. Diesen Tag hatte sich Kira vor Wochen auch anders ausgemalt. Damals war sie noch mit Kevin zusammengewesen und hatte von einer gemeinsamen Zukunft geträumt. Durch eine rosarote Brille hatte sie alles gesehen. Und jetzt? Jetzt verbrachte sie ihre letzten Lebenswochen in diesem Kerker und alles nur wegen so eines blöden Kerls. Noch immer wurde sie in dem kargen Raum festgehalten und verbrachte die eintönigen Tag e mit Nichtstun, da es in
Weitere Kostenlose Bücher