Ruegen Ranen Rachedurst
murmelte leise vor sich hin.
Mehr bekam Lydia davon nicht mehr mit. Eine Gruppe junger Männer schob sich zwischen ihnen und verdeckte diese unangenehme Person sowohl optisch als auch akustisch mit ihren tiefen Stimmen, ihrem Gelächter und ihren Witzen. Nur hin und wieder drangen noch ein paar aggressive Wortfetzen der Rothaarigen zu ihr herüber.
Während des Abtauchens und auf Tauchstation gab einer der beiden Mitarbeiter eine interessante wie unterhaltsame Einführung in die Ostsee, ihre Bewohner und ihre Schutzbedürftigkeit. Er erläuterte dabei die Lebewesen, die durch die mannshohen, sechs Zentimeter starken Fenster zu beobachten waren. „Jede Jahreszeit, ja jeder Tag unter Wasser ist anders. Mal – so wie heute – transportieren Strömungen Ohrenquallen heran, die langsam und ästhetisch vor den Fenstern dahinschweben. Mal sind zum Beispiel Garnelen zu sehen oder, wenn auch seltener, Fische. Achten Sie auch auf die dunklen Gebilde am Boden – das sind Miesmuscheln, die sich auf Steinen angesiedelt haben. Sie filtrieren die mikroskopisch kleinen Algen aus dem Wasser, von denen in der warmen Jahreshälfte die Sichtweite abhängt, welche heute ausgezeichnet ist. Hier sehen Sie eine Ostseegarnele. Sie ist fast durchsich…“ Weiter kam er nicht, denn plötzlich rief ein kleiner Junge laut in den Raum: „Mama, schau mal, da schwimmt eine Qualle. Die sieht aber komisch aus!“ Alle Besucher drehten wie auf Kommando die Köpfe zum entsprechenden Fenster und starrten nach draußen ins Meerwasser. Der Mitarbeiter erklärte, dass es sich bei diesem Tier um eine sogenannte Rippenqualle handele, die eigentlich überhaupt keine Qualle sei. Diese Art heiße „Seewalnuss“ und sei – sehr wahrscheinlich in Ballastwassertanks von Schiffen – von der Küste Nordamerikas vor einigen Jahren in die Ostsee eingeschleppt worden. „Wir wissen gegenwärtig nicht, wie sich diese Art längerfristig in der Ostsee verhalten wird. In ihrer Eigenschaft als Unterwasserobservatorium, das ganzjährig und sehr regelmäßig taucht, führt die Tauchgondel Sellin gemeinsam mit ihren Schwestereinrichtungen deshalb entsprechende Forschungen durch: Wir schätzen bei jeder Tauchfahrt die Anzahl der beobachteten Seewalnüsse sowie die Sichtweite ab. Aus diesen Daten berechnet der Ko-Eigentümer vom Unternehmen Tauchgondeln, der Meereszoologe ist, dann die ungefähre Individuendichte pro Zeiteinheit dieser für uns Menschen, aber nicht für alle Ostseetiere, harmlosen Tiere.“
Lydia war tief beeindruckt.
Gerlinde Grasmück offenbar auch. Sie verharrte ganz in sich versunken vor einem der Fenster und ihr Gesicht wirkte jetzt fast entspannt.
Lydia spürte einen leichten Schmerz und beinahe wären ihr die Beine eingeknickt.
„ Entschuldigung“, murmelte jemand.
Lydia drehte sich um. Eine Rollstuhlfahrerin war ihr in die Hacken gefahren.
„ Schon gut.“
„ Mei, das war wirklich koa‘ Absicht!“
„ Ist ja nichts passiert.“
Lydia schätzte die Frau auf Mitte dreißig. Sie hatte dunkles Haar und ein sympathisch wirkendes Lächeln.
Ihr Akzent verriet, dass sie wohl aus Bayern kommen musste. „Wissen Sie, ich bin ja unheimlich begeistert von der Unterwasserwelt und vor meinem Unfall war ich auch eine leidenschaftliche Taucherin. Jetzt ist das alles etwas schwieriger geworden.“
„ Das kann ich mir denken“, nickte Lydia.
Die Frau beugte sich etwas vor. „Dürfte ich Sie um einen Gefallen bitten?“
„ Sicher.“
Sie zog einen Fotoapparat hervor. „Ich habe mit meiner Verwandtschaft in Rosenheim eine Wette abgeschlossen, ob mit meinem Rollstuhl eine Tauchfahrt von einer halben Stunde hier möglich ist. Der ist zwar nur normalbreit, aber trotzdem bin ich ja doch körperlich etwas eingeschränkt.“
„ Ich mache gerne ein Foto“, versprach Lydia.
„ Ich habe von zu Hause aus extra hier angerufen, ob es möglich ist. Es ist! Super, net wahr?“, freute sich die Frau.
Anschließend stellte der Mitarbeiter mit den Ohrenquallen die „echten“ Quallen und deren erstaunlichen Lebenszyklus näher vor.
Nun öffnete sich ein weiteres Fenster in die Ostsee: ein 3D-Film gab tiefere Einblicke in das jüngste Meer der Erde und das Leben seiner Bewohner.
Langsam setzte sich die Tauchgondel wieder in Bewegung. Während des Auftauchens erfuhren die Besucher, welche Tiere und Pflanzen man selbst am Strand finden und wie jeder zum Schutz dieses Meeres beitragen könne. Gern nahmen Lydia und viele andere Besucher kostenlose
Weitere Kostenlose Bücher