Ruegen Ranen Rachedurst
ich versuche es mal mit dem Nationalpark Jasmund.“
„ Ja, mach das ruhig … Du hast ja den Wagen!“
Endlich tauchte George auf. Wie immer war er mit einer Vielzahl größerer und kleinerer Taschen behängt: Laptop, Kamera, diverse Objektive – eben die Utensilien, die für einen Reporter unverzichtbar waren. „Ja, ich musste noch ein bisschen in der Frühe arbeiten“, erklärte er dann auch sofort, als er die fragenden Blicke bemerkte.
„ Ein kleiner Bericht für die Heimatzeitung?“, gab Benecke lächelnd zurück.
„ Genau. Ich weiß ja nicht, wann ich heute dazu kommen werde. Außerdem habe ich mich per Internet etwas mit den Ranen und den alten Kultstätten beschäftigt, die es hier ja ziemlich zahlreich auf Rügen gibt, und bin dann leider hängengeblieben …“ Er biss herzhaft in ein frisches Brötchen, und seinem Gesichtsausdruck konnte man entnehmen, dass es ihm schmeckte.
Benecke hob die Augenbrauen.
„ Die Umstände, unter denen der Kopflose gefunden wurde, haben Sie wohl auch nicht losgelassen, was?“
„ Kann man wohl sagen. Ich dachte, ich finde vielleicht irgendetwas darüber, was Köpfe in den alten Ranen-Kulten so zu bedeuten hatten. Ich meine, schließlich besaß doch ihr Hauptgott Svantevit vier Köpfe und wenn der Täter uns mit dieser Inszenierung der Leiche, wie ich das mal ganz unfachmännisch nennen möchte, etwas sagen will, dann könnte doch der Schlüssel dazu genau darin zu finden sein.“
„ Na ja …“, murmelte Benecke, den es irgendwie beunruhigte, dass George noch immer das Brötchen zwischen den Zähnen hatte.
„ Oder ist das zu sehr um die Ecke gedacht?“
„ Na ja, wir wissen einfach noch sehr wenig. Aber wenn Sie schon mal nachgesehen haben: War denn etwas Interessantes dabei, was uns weiterbringen könnte?“
George seufzte: „Ehrlich gesagt, nicht so richtig. Nur Allgemeines. Die Vierköpfigkeit von Svantevit wird zum Beispiel als ein Symbol von vierfacher Kraft gedeutet, wobei eigentlich niemand genau weiß, was tatsächlich dahintersteckt. Eine andere Meinung besagt, dass die vier Köpfe in alle Himmelsrichtungen schauen können, also Svantevit als Gott dargestellt wird, der ,alles‘ sieht.“
„ Verstehe. Die Ranen haben wahrscheinlich im Gegensatz zu den Christen sehr wenig aufgeschrieben.“
George lächelte und tätschelte seinen Laptop. „Richtig. Und wer schreibt, der bleibt – die anderen eben nicht. Wie auch immer: Damit habe ich nur die Zeit vertrödelt.“ Er fasste sich an den Bauch. „Und das, obwohl Frühstückszeit ist. Das will schon was heißen …“ Dabei blickte er sehnsüchtig zum üppigen Frühstücksbuffet hinüber, von dem er sich beim Betreten des Raums im Vorbeigehen schon ein Brötchen geschnappt hatte.
Benecke deutete diesen Blick richtig und meinte dann: „Ich will ja nicht drängen, aber müssten wir nicht so langsam aufbrechen, wenn wir pünktlich in Stralsund sein wollen?“
George blickte auf seine Armbanduhr und machte anschließend eine wegwerfende Handbewegung.
„ Ach, den kleinen Rückstand holen wir schon wieder auf! Da werde ich eben ein bisschen schneller essen und anschließend noch ein bisschen schneller fahren müssen!“
Benecke begeisterte die Vorstellung eines sportlichen Fahrstils gar nicht. Er fuhr am liebsten mit der Bahn oder mit seiner Frau, deren vorausschauenden Fahrstil er gut kannte.
Der Reporter legte seine Utensilien auf einen freien Stuhl, trennte sich fürs Frühstück sogar ausnahmsweise für ein paar Augenblicke von seiner Kamera und kehrte anschließend mit einem ansehnlich gefüllten Teller vom Frühstücksbuffet zurück.
„ Kann es sein, dass der Täter seine Macht demonstrieren will?“, fragte er dann kauend. „Jemand, der sich mal sehr ohnmächtig gefühlt hat, der tief gedemütigt wurde und jetzt mit der Macht uralter Götter im Rücken zurückkehrt, um … Tja, um was eigentlich?“
„ Darauf hat Hauptkommissar Jensen vielleicht eine Antwort – falls wir ihn heute noch antreffen“, antwortete Benecke.
George tat jedoch so, als hätte er den gewissen Unterton in der Stimme des Kriminalbiologen nicht bemerkt.
Der Kellner kam an den Tisch und fragte George, ob er Tee oder Kaffee wollte.
„ Im Moment das, was schneller geht“, entgegnete der Reporter.
„ Das geht beides schnell.“
„ Dann Kaffee.“
Wenig später kam der Kellner mit dem Kaffee zurück. „Bitte schön.“ Dann wandte er sich an Benecke und gab ihm das Buch, das er unter den Arm
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