Rügensommer
würden die nächsten Fahrgäste noch mehr belästigen. Trotzdem brachen Natty und Deike immer mal wieder kleine Krumen ab und warfen sie in die Luft. Die Vögel kreischten und drängten sich gegenseitig weg. Nur die schnellsten konnten in diesem Kampf Beute machen.
»Du hast wirklich etwas verpasst«, wiederholte Natty. »Wuss test du, dass in dieser Heilkreide ganz viele Mineralstoffe und Spurenelemente enthalten sind?«
»Ist Kreide nicht an sich ein Mineralstoff?«, fragte Deike irritiert zurück.
»Ich meine doch, dass da außerdem noch Eisen, Magnesium und Silizium drin ist. Das soll total gut für die Haut sein. Und bei Muskelverspannungen hilft eine Packung auch ganz prima, stimmt’s?«
»Ja«, bestätigte Hannes. »Allein die Wärme, die in der Kreide gut gespeichert werden kann, löst schon die Verspannungen.«
»Wir müssen uns unbedingt eine Packung machen lassen. Oder wir kaufen uns die Kreide und schmieren uns damit gegenseitig ein. Das könnte ziemlich lustig werden.«
»Und eine ziemliche Sauerei«, gab Deike zu bedenken. »Du hast recht, das sollten wir uns nicht entgehen lassen.« Sie sammelte die Servietten ein. »So, liebe Möwen, das war’s, Ende der Mahlzeit.« Damit stand sie auf und marschierte zu einem Mülleimer. Als sie zurückkam, klingelte Hannes Mobiltelefon.
Innerhalb von Sekunden hatte er es zur Hand und meldete sich atemlos. Deike und Natty sahen sich irritiert an.
Sein Gesicht spannte sich an, die vollen Lippen wurden zu einem schmalen Strich. »Wie geht es ihr?«, presste er leise hervor. Dann stand er auf. »Was genau ist denn passiert?« Er ging zur Reling.
»Das klingt aber gar nicht gut«, stellte Natty zerknirscht fest.
»Ob er eine kranke Mutter hat? Vielleicht ist sie in einem Pflegeheim.«
»Kann schon sein.«
Deike beobachtete ihn, wie er sich auf die Reling stützte. Ab und zu rieb er sich seine Augen. Er sagte nicht viel, sondern hörte aufmerksam seinem Gesprächspartner zu. Sie spürte das Bedürfnis, zu ihm zu gehen und ihn zu trösten, aber das tat sie natürlich nicht. Er nickte langsam und sah dabei sehr niedergeschlagen aus. Schließlich kehrte er zu ihnen zurück.
»Ich muss in Binz aussteigen. Es gibt ein Problem, um das ich mich sofort kümmern muss«, teilte er ihnen knapp mit.
»Können wir dir irgendwie helfen?«, fragte Natty, während Deike noch nach den richtigen Worten suchte.
»Nein. Das ist sehr nett, aber da muss ich alleine durch. Lasst euch den Tag nicht verderben, okay?« Er brachte ein freudloses Lächeln zustande und verschwand im Inneren der Fähre.
»Es dauert doch noch eine ganze Weile, bis wir in Binz anlegen«, stellte Deike fest. »Warum rennt er denn jetzt schon zum Ausgang?« Sie war ärgerlich, weil der Tag natürlich in gewisser Weise verdorben war. Und sie war ärgerlich, weil sie sich schrecklich hilflos fühlte und ihm doch so gerne geholfen hätte.
»Er will wohl alleine sein«, meinte Natty und sah noch immer hinter ihm her.
Am Abend blieb alles still und dunkel in der anderen Haushälfte. Deike schlief schlecht in dieser Nacht. Sie wälzte sich hin und her, bevor sie überhaupt einschlafen konnte. Dann wurde sie mehrmals wach. Ihre Haut spannte, sie hatte eindeutig zu viel Sonne abbekommen. Aber vor allem wollte ihr der merkwürdige und überstürzte Abgang von Hannes nicht aus dem Kopf gehen. Irgendwann, es war schon nach dreiUhr, meinte sie nebenan Geräusche zu hören. War er jetzt erst nach Hause gekommen? Als ihr Wecker am nächsten Morgen um sieben mit sanfter Musik und Vogelgezwitscher den neuen Tag einläutete, fühlte sie sich wie erschlagen. Sie konnte die Augen kaum offenhalten, geschweige denn sich konzentrieren. Das konnte ja lustig werden in der Redaktion. Es ließ sich nur leider nicht vermeiden, dass sie einen Büro-Tag einlegte. Nach einem schnellen Frühstück fuhr Natty sie nach Bergen und machte sich dann allein auf Insel-Erkundungstour.
Pünktlich zu Deikes Dienstschluss trafen sie sich wieder, holten auf dem Heimweg ihr Abendessen vom Chinesen und setzten sich in das kleine Wohnzimmer, das immer dunkler wurde.
»Da braut sich etwas zusammen«, sagte Deike. »Ich zünde uns mal ein paar Kerzen an.« Sie ließ ihren vollen Teller stehen. Hunger hatte sie sowieso keinen.
»Es könnte ein Gewitter geben. Das würde mich nicht wundern, so schwül, wie es seit gestern Nachmittag war. Ich glaube, wenn wir nicht auf dem Wasser gewesen wären, hätten wir ganz schön gelitten.«
»Kann
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