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Rügensommer

Rügensommer

Titel: Rügensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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sie auf den Bänken frei wurde.
    Silvio gab lauthals die Lebensretter-Geschichte zum Besten, danach kümmerte er sich nicht weiter um Natty und Hannes, sondern wandte sich ausschließlich Deike zu.
    »Wie hat dir die Fahrt im Roland gefallen?«, wollte er wissen. Dann fragte er sie nach ihrer Arbeit, danach, wie gut sie sich in der Redaktion eingelebt habe. Man musste meinen, die beiden seien sich schon viel öfter begegnet als nur zweimal.
    Die Kreideküste begann mit den Wissower Klinken, von denen nach dem Abbruch, von dem Hannes erzählt hatte, nichts mehr übrig war. Deike hätte zu gern seine Ausführungen gehört, aber Silvio redete unaufhörlich auf sie ein. Er war durchaus charmant und amüsant. Schön, sie erfuhr nichts über die Kreideformationen, die vom Wasser aus tatsächlich um ein Vielfaches imposanter waren als vom Strand oder gar von der Aussichtsplattform. Sie strahlten in beinahe unnatürlichem Weiß. Dafür wusste Deike nun alles über Großonkel Sandro, der Bootsbauer war und sich mit siebzig Jahren noch ein Segelboot gebaut hatte, mit dem er von Italien durch das Mittelmeer bis in die Türkei gesegelt war. Und sie kannte die Geschichte von Mario, einem rothaarigen, auffallend blassenjungen Mann, der bereits zweimal die Pizza-Akrobatik-Weltmeisterschaft gewonnen hatte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie nicht einmal gewusst, dass es so etwas überhaupt gab.
    Sie wollte nicht unhöflich sein, immerhin war sie mit Hannes und Natty hier. Andererseits unterhielten die beiden sich augenscheinlich ziemlich gut. Sie gaben sich gar keine Mühe, Deike einzubeziehen. Zwar hatte sie manchmal das Gefühl, Hannes sehe zu ihr herüber, während er mit ihrer Schwester sprach, aber er machte keinerlei Anstalten, sie vor Silvios Redefluss zu retten. Dann eben nicht.
    Silvios Familie war vollkommen fasziniert von dem Königsstuhl, der über hundert Meter hohen Krönung der Kreideküste. Sie fotografierten ihn gefühlt tausendmal, als ob er sich bewegen und immer wieder neu für die Kamera posieren würde. Ihre Stimmen überschlugen sich förmlich, Eleonora, Musiklehrerin aus Padua, klatschte in die Hände.
    Die Hauptattraktion war besichtigt, das Schiffchen drehte um und fuhr auf gleichem Weg zurück. In Sassnitz gingen Silvio und der umfangreiche Clan von Bord. Beinahe hätten es nicht alle geschafft, weil sie Deike ja nun kannten und sie zum Abschied an sich drücken und ihr laute Schmatzer auf die Wangen verpassen mussten.
    »Puh, die waren wie ein Orkan«, sagte Deike lachend, als die Fähre sich in Richtung Binz in Bewegung setzte.
    »Kann man wohl sagen. Jetzt hast du alles verpasst.« Natty strich sich eine Haarsträhne aus dem Mund.
    »Ja, schade.«
    »Ich habe Hunger! Ich gehe uns etwas holen, jetzt habe ich mal die Spendierhosen an«, verkündete Natty und machte sich auch schon auf den Weg.
    Hannes streckte demonstrativ seine Beine aus, als hätte erdurch die italienische Großfamilie viel zu wenig Platz gehabt. Er blickte stumm auf die Ostsee.
    »Schade, dass ich dir nicht zuhören konnte«, begann Deike vorsichtig. »Vielleicht können wir das nachholen.«
    Er zog die Augenbrauen hoch.
    »Ich meine, ich könnte dich vielleicht mal im Nationalparkamt besuchen, ganz offiziell. Dann kannst du mir jede Menge über die Kreide und über deine Arbeit erzählen, und ich schreibe einen Artikel darüber. So eine Hintergrundreportage ist für Urlauber ziemlich interessant, glaube ich.«
    »Meinst du?«
    »Bestimmt.«
    »Du kannst dich ja melden, ganz offiziell, du weißt ja, wo ich wohne.«
    Sie lachte verunsichert. »Ja, das weiß ich.« Nachdem er mit Natty pausenlos geredet hatte, war er jetzt schweigsam wie eine Auster. Ihr fiel etwas ein. »Du wolltest mir gestern etwas sagen«, erinnerte sie ihn. »Aber da ist Natty aufgetaucht, und wir sind davon abgekommen.«
    Seine Mundwinkel zuckten kurz, seine Wangenknochen traten hervor, so als ob er die Zähne zusammenbeißen müsste. »Was? Ach so, das hat sich erledigt«, sagte er dann finster. Mehr war aus ihm nicht herauszubekommen. Deike fuhr sich mit der Hand durch das störrische Haar und seufzte. Sollte er doch dahin gehen, wo der Pfeffer wächst, dieser eigensinnige Inselschlumpf!
     
    Natty kam mit belegten Broten zurück. Sie hockten auf ihren Plätzen und aßen. Die Möwen zogen über ihren Köpfen Kreise. Immer frecher kamen sie heran, drehten erst im letzten Moment ab. Ihnen etwas zu geben war gewiss nicht klug. Die Tierelernten sicher schnell und

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