Rügensommer
Ausflügler trotz des leichten Windes, die Ostsee funkelte, als wolle sie Deike endgültig für sich einnehmen, Möwen schrien und segelten über die schneeweiße Fähre, und Hannes zeigte sich einmal mehr von seiner besten Seite. Sie waren gleichnach dem Frühstück von Göhren gestartet. Schon dort, in dem Ort, der im Gegensatz zu Binz und Sellin noch eher als Geheimtipp galt, löste Hannes sein Versprechen ein und schlüpfte in die Rolle des Reiseführers. Er erzählte vom Nordperd, einer Landzunge, die sich wie der Zipfel einer Mütze in die Ostsee reckte. Von dort hatte man einen Blick auf einen mächtigen Findling, der im Wasser lag, als hätte ein Riese ihn aus purem Vergnügen dort hingeworfen.
Bestimmt war das der Hüne Boy aus der Galerie am Kap Arkona, ging es Deike durch den Kopf.
Hannes erzählte, der Stein sei aus Granit und schon in der Bronzezeit für Kulthandlungen verwendet worden. Dass Gestein sein Spezialthema war, konnte er nicht leugnen. Er wusste einfach alles über seine Beschaffenheit, die auch seine Herkunft verriet. Deike staunte, wie interessant ein Referat über einen Felsbrocken sein konnte. Sie beobachtete Natty, die ebenfalls jedem Wort gebannt lauschte.
»Soll ich euch verraten, was ich am besten am Buskam, wie der Findling genannt wird, finde?« Er machte eine kurze Kunstpause und ließ dann ein breites Grinsen sehen. »Je nach Wasserstand kann man ihn ahnungslosen Touristen als Wal unterjubeln. Ich habe mal einer Abordnung aus dem Umweltschutzministerium in Berlin erzählt, der Buskam gehöre zu den Zahnwalen und lasse sich seit drei Jahren regelmäßig vor Rügens Küste sehen.« Es war deutlich zu spüren, wie viel Vergnügen ihm selbst die Erinnerung daran noch bereitete. »Ihr glaubt nicht, was die alles gesehen haben. Der Wal hat sich gedreht, man konnte die Finne erkennen und sogar den Blas als feinen Nebel. Einer meinte dann auch noch, er habe ganz leise Walgesang gehört.«
»Das ist nicht dein Ernst!« Natty schüttelte amüsiert denKopf. Sie trug die Haare offen, nur von einem Tuch aus dem Gesicht gehalten, und sah hinreißend aus, wie Deike fand.
Er nickte. »Doch, leider. Man kann nur hoffen, dass wir nicht von der Kompetenz der Abordnung, die man uns damals geschickt hat, auf die Qualität unserer Politiker im Allgemeinen schließen müssen.«
Deike notierte sich etwas. »Immer im Dienst?«, fragte er.
»Nein, nein.« Sie schüttelte heftig den Kopf. »Das ist rein privat. Immerhin hat mein Schwesterherz noch ein paar Tage auf der Insel. Da sind Insider-Ausflugstipps Gold wert.«
»Nordperd gehört auf jeden Fall dazu«, bekräftigte er. »Von dort hat man einen superschönen Blick auf Usedom.«
Deike zog die Stirn kraus. »Flunkerst du schon wieder?«
Er lachte. »Nein, Ehrenwort.« Er legte beide Hände auf sein Herz. »Ich flunkere höchstens Berliner Anzugträger an, aber doch keine sympathischen hübschen Frauen. Nordperd ist der östlichste Punkt von Rügen. Von da ist es nicht sehr weit bis nach Usedom rüber.«
Deike und Natty genossen die herrlich salzige Luft und die noch milde Sonne auf der Haut, und Hannes unterhielt sie prächtig. Er erzählte von der Baaber Bek, die Wanderer oder Radfahrer nur mit Hilfe eines Fährmannes überwinden konnten, der sie von dem einen Ufer zum anderen ruderte. Als sie an der Seebrücke von Sellin vorübertuckerten, sprang Natty auf und lief hinüber zur Reling.
»Wusstest du, dass dort eine Außenstelle des Standesamtes ist?«, fragte er Deike. Was sollte das denn? Froh, sich hinter ihrer riesigen Sonnenbrille verstecken zu können, beäugte sie ihn. Wenn er sie noch lange aus seinen schönen blauen Augen ansah, würde sie ihm auf der Stelle einen Antrag machen.
»Ja, das weiß ich«, gab sie zurück und war froh, dass ihre Stimme recht sachlich klang. »Wir haben schon öfter darüber geschrieben und Arrangements vorgestellt, die Heiratswütige buchen können.«
»Es ist alles ein großes Geschäft, was? Nicht sehr romantisch.«
»Was war denn das für eine Glocke am Ende der Brücke?« Natty war zurück und setzte sich wieder neben Deike auf die Bank.
»Das ist eine Tauchgondel. Besonders empfehlenswert für alle Fischesser. Wenn man Hering und Dorsch in ihrem Lebensraum beobachten kann, steigt die Chance, dass man sie auf dem Teller nicht mehr so toll findet.«
Deike dachte an die Garnelen, die sie ihrer Schwester am ersten Abend serviert hatte, und bekam ein schlechtes Gewissen.
Ȇbrigens hat Sellin viel
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