Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)
liefe sie durchs Wasser. »Dann wird seine Unschuld ihm zum Verhängnis«, sagte sie leise. »Denn er hat keine Diamanten.«
In der Kutsche legte James den Arm um sie und zog sie an sich. Ihr war nicht nach Protestieren zumute. Warum sollte sie auch? Inzwischen hatte sie sich fast damit abgefunden, dass er ihr ein gewisses Maß an Trost bieten konnte, wenn sie selbst dazu nicht mehr imstande war. »Ich weiß nicht, was ich tun soll«, flüsterte sie. »Wie kann man beweisen, dass man etwas nicht hat?«
»Keine Ahnung«, sagte er leise. »Jetzt ruh dich ein bisschen aus, Lydia. Du kannst das Problem im Moment nicht lösen.«
Seine Antwort deprimierte sie. Sie brauchte Optimismus, einen Plan. Sie schmiegte ihr Gesicht an seinen Ärmel und atmete seinen vertrauten Geruch ein, nach Bergamotte und Mandarine und jener besonderen Komponente, die sie nie so recht benennen konnte, sondern nur als seinen ureigenen Duft wahrnahm. »Du musst ehrlich zu mir sein.« Sie schloss die Augen. »Hältst du mich für eine Närrin, weil ich an ihn glaube?«
Als sie vom Schotterweg auf Kopfsteinpflaster abbogen, begannen die Fenster zu klappern. Der Lärm schluckte seinen Seufzer, doch sie spürte, wie seine Brust sich unter ihrer Wange hob und senkte. »Nein«, sagte er. »Bisher hast du keinerlei Beweise gesehen. Ich verstehe, dass du eher deinem Vater Glauben schenkst als einem Fremden.«
Bei dieser großmütigen Bemerkung schnürte sich ihr die Kehle zu. Es war für ihn ein großer Schritt gewesen, ihre Gründe nachzuvollziehen. Ein derartiger Schritt, dachte sie dankbar, könnte auch ein Vertrauensbeweis an sich sein.
»Darf ich dich etwas fragen?« Er drückte sich jetzt sehr förmlich aus. »Was würdest du tun, wenn du herausfändest, dass er doch involviert ist?«
Darauf hatte sie keine Antwort parat. Die Frage traf sie bis ins Mark und fand Halt in einem dunklen, kalten Abgrund, der sich in ihr aufgetan hatte, als sie die Stele zertrümmert hatte, und der seitdem immer tiefer geworden war. Jedes Mal, wenn sie sich geweigert hatte, sich diese Frage zu stellen, hatte dieser Abgrund sich weiter aufgetan. Doch jetzt musste sie in ihn hinabsehen. »Ich kann es kaum ertragen, schlecht von ihm zu denken«, sagte sie stockend. »Du musst verstehen, wie falsch es mir vorkommt, was für ein Verrat es mir zu sein scheint, auch nur in Betracht zu ziehen, dass er schuldig sein könnte. Aber ich glaube , wenn er denn schuldig wäre , h ätte ich keine andere Wahl, als weiterzumachen wie bisher. Bis jemand in der Lage ist, zweifelsfrei zu beweisen, dass er es getan hat, wäre ich immer noch durch meine Ehre und meine Liebe an meine Pflicht als Tochter gebunden.«
In gequältem Schweigen harrte sie seiner Antwort. Doch als er wieder sprach, ging es um etwas völlig anderes, und man hörte ihm die Anstrengung an, neutral zu klingen. »Phin und ich haben veranlasst, dass euer Haus beobachtet wird. Wenn du ausgehst, wird dir jemand folgen, aber nur zu deinem eigenen Schutz. Ist das für dich akzeptabel?«
Eine derartige Notwendigkeit war ihr zwar nicht in den Sinn gekommen, doch nach den Geschehnissen am Morgen wäre sie verrückt, dies abzulehnen. In plötzlicher Angst machte sie sich von ihm los. »Meine Schwestern … glaubst du, sie sind in Gefahr?«
Er lächelte leise und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Nacken. »Sorg dich lieber um dich selbst, Lyd. Wenn es etwas gibt, das alle von dir wissen, dann dass du der Mann deines Vaters in England bist.«
Zögernd erwiderte sie sein Lächeln. Diese Bemerkung war nicht als Beleidigung gedacht. Sie verstand das jetzt, im Gegensatz zu früher. Und das war ihr Vertrauensbeweis, dachte sie. Es fiel ihr überhaupt nicht schwer.
Sie schmiegte ihr Gesicht an seine Brust. In weniger als zehn Minuten wäre sie wieder in Wilton Crescent. Nach einem solchen Tag sollte sie bei dem Gedanken, nach Hause zu kommen, eigentlich Dankbarkeit empfinden. Ihre Schwestern trafen mit dem Nachmittagszug ein; sie sollte sich auf ihre Gesellschaft freuen. Doch am liebsten wäre sie einfach so sitzen geblieben und hätte weiter seine Wärme gespürt.
In seinen Armen konnte sie es sich eingestehen. Sie hatte sich tatsächlich in ihn verliebt.
Diese Wahrheit brachte keinen Trost mit sich. Seine Zärtlichkeiten waren zu ihrem kostbarsten Besitz geworden, doch sie gehörten ihr nicht. Nach ihrer Ankunft zu Hause würden sie sich trennen. Und in der Öffentlichkeit, auf Bällen oder bei Abendessen, musste sie
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