Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)
ihm zuzuhören, selbst wenn die Worte schrecklich waren. Schützend schlang sie die Arme um sich. Sie wusste, was als Nächstes kam. »Sie werden gleich Anschuldigungen gegen meinen Vater erheben.« Ihre Stimme klang sehr müde. »Nur zu. Bringen wir es hinter uns.«
Der Earl und James wechselten einen Blick. Sie glaubten zweifellos, dass sie gleich in Hysterie verfallen würde. »Von Ihrem Vater weiß ich nichts«, sagte er. »Ich weiß nur, was mir erzählt wurde. Eine Frau namens Polly Marshall … «
»Ist eine Lügnerin«, führte sie den Satz leise zu Ende. In dieser eigentümlichen, farblosen Stimmung konnte sie ihre übliche Empörung nicht aufbringen. Alles, was sie spürte, waren Erschöpfung und ein seltsames Gefühl der Unvermeidlichkeit. Wieder und wieder brachte sie die Argumente zu seiner Verteidigung vor, was jedoch niemanden zu überzeugen schien. »Momentan sieht es so aus, als hätte sich ihr Liebhaber mit einem geschäftlichen Konkurrenten meines Vaters verschworen, um ihn zu ruinieren.«
»Alles ist möglich«, sagte der Earl milde. »Aber man gibt mir zu verstehen, dass es auch Quellen in Ägypten gibt.«
Das war ihr neu. Das deutete auf eine umfassende Untersuchung hin. Eine kurze Panik bahnte sich einen Weg durch ihre Benommenheit. Von all dem hatte Papa keine Ahnung. »Was genau meinen Sie?«
»Leider kenne ich keine Details. Es sei hier nur gesagt, dass die Regierung Ihren Vater im Besitz der Tränen von Idihet wähnt.«
So! Endlich hatte es jemand laut ausgesprochen. Die Worte rasten durch ihre Seele wie eine Kanonenkugel. Sie hatte das Gefühl, als käme in ihr etwas zum Einsturz: Möglichkeiten, Hoffnungen, alles, was gut war, alles, was sie sich eingeredet hatte, um nachts in den Schlaf zu kommen. »Die Regierung glaubt das also«, sagte sie und war erstaunt über ihre Ruhe.
»Ja. Die Wiederbeschaffung der Juwelen ist zu einer Frage von allergrößter Wichtigkeit geworden. Sollten sie in England auftauchen, wären die politischen Auswirkungen verheerend. Ganz gewiss würde es erneute Unruhen in Ägypten zur Folge haben. Zudem würde es unseren Kritikern schädliche Munition liefern. Frankreich protestiert sowieso schon gegen unsere Kontrolle des Suezkanals. Durch diese peinliche Angelegenheit würde unsere Vorherrschaft jeglicher Grundlage beraubt.« Er hielt kurz inne. »Jetzt verstehen Sie vielleicht, warum die Regierung beschlossen hat, diese Angelegenheit über ungewöhnliche Kanäle zu regeln. Doch die dringende Notwendigkeit der Geheimhaltung ist nicht gerade von Vorteil für Sie. Es können noch viel schlimmere Dinge passieren, wenn keine Veranlassung besteht, sie der Öffentlichkeit zu erklären.«
Sie schüttelte stumm den Kopf. Doch sie verstand, was Ashmore ihr damit sagen wollte. »Sie werden ihn umbringen.«
»Nein«, widersprach James heftig. »Lydia, das ist es ganz und gar nicht. Phin will dir ein Angebot unterbreiten.«
Sie blickte auf.
»Offenbar soll Ihr Vater morgen in Southampton landen«, sagte der Earl. Wirklich? Das war ihr neu. Hatte sie Ashmore attraktiv gefunden? Sein Gesicht war ihr auf einmal verhasst. Wie distanziert und unbeeindruckt er angesichts der Nachrichten wirkte, die er ihr übermittelte. »Man wird ihm erlauben, seine Reise nach London ungehindert fortzusetzen und ihn nicht weiter behelligen. Unter einer Bedingung: dass die Juwelen innerhalb der nächsten sieben Tage der Regierung ausgehändigt werden.«
Ein guter Handel. Da gab es nur ein Problem. »Und wenn er sie nicht hat?«
»Ironischerweise können Sie nur hoffen, dass er sie hat.« Die Liebenswürdigkeit in seiner Stimme erschien ihr jetzt grotesk. »Ungeachtet Ihrer eigenen Überzeugung, Miss Boyce, glaubt die Regierung, dass er bei dem Diebstahl seine Hände im Spiel hatte. Wenn die Juwelen verschwunden bleiben, wird er festgenommen und verhört. Indes wird jeder, der für ihre Rückgabe verantwortlich zeichnet, von jeder Schuld, ob öffentlicher oder privater Natur, freigesprochen.« Er zögerte. »Dasselbe Angebot gilt natürlich auch für eine Frau.«
Sie war zu verstört, um die Andeutung, die in dieser Bemerkung lag, zu registrieren. Erst als James fluchte, wurde sie darauf aufmerksam. »Natürlich, sie sieht aus wie eine Diebin. Du kannst mich mal, Phin, ich bringe sie jetzt nach Hause.«
Der Earl zuckte entschuldigend mit den Achseln. »Es musste gesagt werden. Tut mir leid.«
Mit großer Mühe kam sie auf die Beine. Die Luft kam ihr dicht und zähflüssig vor, als
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