Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)
mit einer Kompresse auf den Augen auf dem Bett. Die Vorhänge waren zugezogen, und auf dem Waschtisch stand eine geöffnete Packung Weidenrindenpulver gegen Schmerzen. Als sich die Matratze unter Lydias Gewicht senkte, drehte Sophie sich von ihr weg und murmelte: »Ich will allein sein.«
Lydia blieb eine Weile schweigend sitzen. Wenn es um Liebesdinge ging, waren sie keine Vertrauten. Wie sollten sie auch. Noch bis vor Kurzem hätte Lydia Sophie sowieso nichts erzählen können, was nicht mit ihrem Ehemann zu tun gehabt hätte. Sie konnte nur hoffen, dass Sophie das auch von sich behaupten konnte. Und falls nicht – gütiger Himmel, sie wollte es gar nicht wissen.
Doch der Kummer ihrer Schwester war so offensichtlich, dass sie sich gezwungen sah, das Schweigen zu brechen. »Ist es wegen Mr Ensley?«
Sophie riss sich die Kompresse ab und setzte sich auf. »Erwähne ihn nicht. Er ist ein ungehobelter, unzivilisierter Wüstling!«
Lydia brauchte einen Moment, um das zu verdauen. »Gestern Abend hast du seine Aufmerksamkeiten aber durchaus genossen.«
»Und wenn schon! Das gibt ihm noch lange nicht das Recht … Dinge von mir zu erwarten. Er hat behauptet, ich würde ihm falsche Hoffnungen machen!«
Sie schnappte nach Luft. George hatte ihr einst einen ähnlichen Vorwurf gemacht. Damals hatte sie das sehr beschämt und mitgenommen, doch inzwischen sah sie viel klarer. Männer hatten sich viel besser unter Kontrolle, als er behauptete. Sie hatte eine solche Behandlung nicht verdient. »Sophie, hat er dich grob angefasst?«
Ein seltsamer Ausdruck huschte über das Gesicht ihrer Schwester. »Nicht sehr.«
Schrecken und ein Funke von Zorn ließen sie ein Stück näher rücken. Sie würde den Kerl umbringen. »Wie sehr, Herzliebchen?«
»Ach, hör doch auf damit! Von dir habe ich keine Hilfe nötig.«
Sie sprang auf. »Na schön, aber wir müssen es sofort George erzählen. Dieser Flegel kann nicht einfach … «
Sophie packte sie am Handgelenk und zerrte sie wieder aufs Bett. »Nein! Hörst du mich? Er darf nichts davon erfahren. Niemals!«
Lydia hatte sie noch nie so aufgewühlt erlebt. »Großer Gott, Sophie. Es war nicht deine Schuld, dass er … «
Sophie krallte ihre Fingernägel in Lydias Handgelenk. »Ich meine es ernst, Lydia. Wenn du ihm auch nur ein Sterbenswörtchen erzählst, werde ich … werde ich dich aus dem Haus werfen!«
Ihr Erstaunen machte sie stumm. Noch nie, nicht einmal während ihrer schlimmsten Auseinandersetzungen, hatte Sophie eine solche Drohung ausgesprochen.
Sophie schlug die Augen nieder und ließ die Hand sinken. Als ihr langsam die Röte ins Gesicht stieg, verstand Lydia plötzlich. »Gütiger Himmel«, flüsterte sie. »Du hast ihn ermutigt, dich zu küssen.«
»Ich will nicht darüber sprechen.«
»Noch mehr als das? Gott im Himmel, Sophie!«
»Ich hab doch gesagt, es ist nicht viel passiert.« Sophie straffte die Schultern. »Aber selbst wenn, was ist schon dabei?« Sie ließ sich zurück in die Kissen fallen. »George wäre es sowieso egal. Wenn es ihm etwas ausmachen würde, wäre er mitgekommen, oder? Aber tut er das je? Natürlich nicht.« Sie lachte bitter. »Schließlich tagt das Parlament. Auch wenn das halbe Haus bei der königlichen Regatta in Henley ist! So selten, wie ich meinen Mann sehe, könnte ich genauso gut eine alte Jungfer sein wie du.«
In Lydia stieg eine scharfe Erwiderung auf, die sich als verächtlicher Laut Bahn brach. »Was für eine großartige Rechtfertigung! Du wusstest doch, was er war, als du ihn geheiratet hast.«
»Aber als ich ihn geheiratet habe, hat er mir versprochen, mich zu lieben. Und nicht, mich zu belehren und ständig auszuschimpfen wie ein Küchenmädchen. Du hast es doch erlebt! Er spricht kaum mit mir, außer um mich dafür zu tadeln, dass ich nicht mehr Interesse an seinem politischen Hickhack zeige. Als würden mich die Abstimmungen im Unterhaus interessieren! Ich hab ihm gesagt, wenn er das will, hat er die falsche Schwester geheiratet.« Auf Lydias unterdrücktes Luftschnappen hin stieß Sophie ein ungehaltenes Geräusch aus. »Nun, mir ist das gleichgültig. Es stimmt doch, oder? Und du brauchst mich jetzt nicht anzusehen wie ein Scheusal. Schließlich habe ich ihn uns zuliebe geheiratet!«
Lydia entfuhr ein eigenartiges Lachen. »Uns zuliebe?«
»Ja, und jetzt bin ich diejenige, die dafür büßt«, fuhr Sophie starrsinnig fort. »Ich bin diejenige, die zu diesen langweiligen Abendessen und öden Debatten gehen und
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