Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)

Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)

Titel: Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
Vom Netzwerk:
wegsehen, wenn ihre Blicke sich trafen, denn sie hatten einander nichts versprochen, das ihr das Recht gegeben hätte, seinen Blick offen zu erwidern.
    Die Kutsche fuhr langsamer. Sie sah aus dem Fenster. Sie waren schon in Piccadilly. James setzte sich alarmiert auf. »Bleib, wo du bist«, sagte er. Sein Ton irritierte sie. Er klang plötzlich sehr distanziert.
    Er stieg aus, um nach dem Rechten zu sehen, während sie allein auf ihn wartete. Die Zeit kam ihr sehr lang vor, aber vielleicht dauerte es nur ein paar Minuten, denn die Kirchenglocken in der Ferne läuteten nur einmal und verkündeten die halbe Stunde. Dann öffnete sich die Tür, und er stieg wieder ein.
    Diesmal setzte er sich ihr gegenüber. »Umgestürztes Fuhrwerk«, erklärte er kurz angebunden.
    Als ihr Wagen weiterrumpelte, machte sie den Mund auf, klappte ihn aber wieder zu, da sie nicht wusste, wie sie ihn wieder zu sich bitten sollte.
    Er ergriff als Erster das Wort. »Du willst also so weitermachen.«
    »Du meinst, mit meinen Versuchen, die Wahrheit herauszufinden?«
    »Wenn du es so nennen willst.«
    »Was soll ich denn sonst tun?«
    »Verlasse die Stadt«, sagte er. »Verbring die Woche auf dem Land. Lass deinen Vater seine Probleme selbst lösen.«
    Waren ihre Worte nicht bei ihm angekommen? »Ich habe dir doch gesagt, dass ich ihn nicht im Stich lassen kann.«
    »Nein«, sagte er. »Wahrscheinlich nicht.« Und dann fügte er mit einem eigenartigen Lachen hinzu: »Natürlich nicht. Dich wird nichts dazu bringen, klein beizugeben.«
    Sie war erleichtert. Sie hatte keine Kraft, diese Auseinandersetzung noch einmal zu führen. »Dann verstehst du mich also.«
    Er nickte. »Ja. Ich bin mit dir fertig, Lydia.«
    Die Worte füllten die Distanz zwischen ihnen und trennten sie. Sie musste sich verhört haben. Sie galten nicht ihr. »Was?«
    Er sprach mit kalter, langsamer Stimme. »Ich habe das schon einmal miterlebt. Ich habe zugesehen, wie eine starke, starrköpfige Frau sich blindlings ins Verderben gestürzt hat. Ich hatte zwar nicht das zweifelhafte Vergnügen, ihr beim Sterben zuzusehen, doch mir scheint, dass du entschlossen bist, mir diese Chance zu bieten. Ich werde sie nicht ergreifen, Lydia. Von nun an bist du auf dich allein gestellt.«
    »Nein«, flüsterte sie.
    »Doch. Das hier ist kein Spiel. Diese Männer heute Morgen wollten dir etwas zuleide tun. Hätte ich eine Pistole bei mir getragen, hätten sie jetzt Kugeln zwischen den Augen, und auf dem Boden läge eine Blutlache. Verstehst du das? Die leblosen Steine haben wir lange hinter uns gelassen. Wir handeln jetzt mit dem Tod. Du spielst mit deinem Leben. Der Junge im Empire hat mir ein Messer an die Kehle gehalten. Er wird bei dir mindestens dasselbe tun. Wenn du dich nicht von dieser Sache distanzierst – wenn du deinen Vater seine Probleme nicht selbst lösen lässt, wirst du unter der Erde landen. Und ich werde nicht an deinem Grab stehen und um dich weinen.«
    Sie versuchte zu schlucken, doch ihre Kehle wehrte sich dagegen. Vor ihrem geistigen Auge nahm das Bild Gestalt an: ein stürmischer Tag, eine Trauergemeinde, Krähen, die sich um die Beute scharten. Frische Rosen, Blutflecken auf der ausgehobenen Erde. Und er, wie er mit schlackerndem Mantel weit abseits stand und sich weigerte, zu weinen.
    Ein kalter Schauder durchlief sie. Das Bild war so lebendig, dass es ihr vorkam wie eine Vorahnung.
    »Ich will das ja nicht tun«, brach es aus ihr heraus. »Ich will mich nicht in Gefahr bringen! Aber welche Möglichkeit bleibt mir sonst? James … «
    »Deine Möglichkeiten sind ganz klar«, sagte er kategorisch. »Sehr viele Menschen halten deinen Vater für schuldig. Recht oder Unrecht, du musst das akzeptieren und ihn das handhaben lassen. Oder du kannst im Alleingang handeln. Dein Leben für deinen Glauben an ihn aufs Spiel setzen und verlieren.«
    Sie hielt die Tränen zurück. Tränen der Wut oder der Verzweiflung? Sie wusste es nicht. In jenem Moment war ihr gar nichts klar. Alles war ein widersprüchliches Durcheinander, befeuert durch den irrationalsten Gedanken überhaupt: den Wunsch, auf seine Seite zu wechseln. Dass er ihre Hand hielte, während er diese schrecklichen Dinge sagte.
    Lächerlich! Wut, ja, das war es, was sie empfand, vor allem auf sich selbst. »Was interessiert es dich, wenn ich mich in Schwierigkeiten bringe? Du würdest nicht um mich weinen, selbst wenn du dich durchsetzen würdest, selbst wenn ich meinen Vater im Stich ließe und mich dir an den Hals

Weitere Kostenlose Bücher