Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)
wollte damit nur sagen, dass sie aus einer Art Muster besteht, die alles mitgestaltet: die Entscheidungsmöglichkeiten, die wir zu haben glauben, inbegriffen.«
Die Dame brauste auf. »Sie klingen wie ein Ketzer!«
»Dann bitte ich um Verzeihung, Mrs Fillmore. Aber der Glaube an die Wissenschaft muss doch den Glauben an das Göttliche nicht negieren. Wenn die Gesellschaft einem Muster unterliegt, können wir dann nicht glauben, dass Gott dieses Muster geschaffen hat und einen Grund dafür hatte?«
»Na, na«, sagte der Earl. »Wir sollten nicht vergessen, dass selbst Mr Darwin an eine höhere Macht glaubte.«
»Ich weiß das ketzerische Element zu würdigen«, warf Sanburne affektiert ein. »Das ist der einzige entfernt interessante Aspekt an diesem Streitgespräch. Meine Handlungen unterliegen keiner Vernunft, Miss Boyce; ich handle nach Lust und Laune, wie es mir gerade in den Sinn kommt. Darauf bilde ich mir sogar etwas ein.«
»Bedauerlicherweise«, blaffte Moreland.
»Ganz offensichtlich.« Lydia grinste in sein allzu attraktives Gesicht. Erwischt . »Obwohl ich nie geglaubt hätte, dass Sie das zugeben. Doch da es Ihnen offenbar so wichtig ist, sage ich nichts mehr dazu. Ein Narrenparadies lässt sich nur allzu leicht zerstören.«
Schweigen legte sich über die Tafel, unterbrochen nur von Morelands schallendem Gelächter. Plötzlich merkte sie, dass Sophie sie zornig anstarrte. Sie war wohl zu weit gegangen. Sie hatte ihn in aller Öffentlichkeit beleidigt, ihn einen Narren genannt. Aber oh, was für ein Tunichtgut er war! Sein Mund lächelte zwar noch, doch das Lächeln passte nicht zu seinem durchdringenden Blick. Sie hatte ihn überrascht; so viel stand fest. Es wirkte jetzt, als wollte er ihre Gedanken lesen.
Zum Teufel mit seiner Neugier! Alles, was er in ihr offenlegen konnte, war Verachtung. Es war erstaunlich, womit der Erbe eines Titels ungestraft davonkam, während sich alle anderen unter der Last unzähliger blödsinniger Erwartungen abmühten.
»Herrliches Wetter«, murmelte Ana. »Hoffentlich hält es an.«
»Ja«, stimmte die Countess zu. »Obwohl ich den Gewittersturm gestern höchst ungewöhnlich fand.«
»Darf ich sagen«, murmelte der Viscount, »dass mir Frauen, die ihre Meinung mit Leidenschaft vertreten, durchaus gefallen? Das ist immer ein gutes Zeichen für andere Dinge.«
Mrs Fillmore schnappte schockiert nach Luft.
Er versuchte, sie zum Rückzug zu zwingen, und dazu auf die denkbar unverschämteste Weise. Lydia hielt seinem Blick stand. Sie spürte die schockierten Blicke, die aus allen Richtungen auf ihr lasteten, doch inzwischen war es ihr gleichgültig. »Na schön, Viscount. Da Sie mich missverstanden haben, erkläre ich es eben einfacher. Selbst wenn Sie verstimmt sind … «
Alle Köpfe schwangen zu ihm, als sein Gelächter erklang. »Verstimmt? Das nennen Sie verstimmt ?«
» … handeln Sie im Einklang mit Ihrem Charakter«, sagte sie jetzt lauter. »Haben Sie sich je gefragt, warum Sie so konsequent handeln, wenn es nicht ein fertiges Muster gäbe, dem Sie nur zu folgen brauchen? Sie sind ein Schauspieler, der seine Rolle sehr gut spielt, aber Sie haben diese Rolle nicht ermöglicht. Sondern die Gesellschaft! Wenn sich die Gelegenheit bietet, kann die Wissenschaft auf das Muster, das Ihre Handlungen lenkt, zurückschließen, und jede einzelne von ihnen erklären!«
»Ha!« Moreland schlug auf den Tisch und brachte das Kristall zum Klirren. »Das ist großartig! Jetzt fühlen wir uns nicht mehr ganz so originell, wie, James?«
Neben ihr setzte sich Mr Romney ruckartig auf. »Eine Schwachstelle! Ich sehe eine Schwachstelle, Miss Boyce! Man mag diese Wissenschaft mit guten Ergebnissen anwenden, wenn es um heidnische Gesellschaften geht, aber Sie sprechen von einer zivilisierten Gesellschaft, das heißt, von einer christlichen Gesellschaft, die auf Gottes ureigenen Gesetzen basiert. Anspruch auf die Fähigkeit zu erheben, dieses Muster aufzuspüren, ist in der Tat Ketzerei … wie Mrs Fillmore bereits angemerkt hat«, stellte er fest und lehnte sich mit einem Nicken zur betreffenden Dame zurück, die steif zurücknickte.
»Aber könnten wir es nicht als ein Streben sehen, das uns zu einem besseren Verständnis der Gesetze Gottes führt?« Lydia sah sich am Tisch um und erblickte nur verblüffte Spannung – und, im Gesicht der Countess, ein unerwartetes leises Lächeln. »Eine Glaubensübung, ein Bestreben, die Intention des Herrn besser zu deuten. So oder so«,
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