Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)
hinter ihr stand. »Gewiss doch. Möchtest du davon kosten?«
»Ellen«, sagte Moreland halblaut, doch das milde Lächeln der Countess ließ ihn verstummen.
Lady Moreland blickte über den Tisch hinweg zu dem Diener, dessen Hilfe ihr Gatte zurückgewiesen hatte. »Lassen Sie für unseren Sohn noch ein Gedeck auflegen.«
In den wenigen Minuten, bis die Bediensteten ein zusätzliches Gedeck organisiert hatten, herrschte vollkommenes Schweigen. Das Vorhaben machte eine Menge Stühlerücken erforderlich. Sämtliche Gäste mussten sich erheben, um das Arrangieren der Plätze zu ermöglichen. Derweil lungerte Sanburne unbekümmert wie ein Gassenjunge an der Tür herum. Einmal gähnte er sogar herzhaft und zeigte dabei der gesamten Tischgesellschaft seine Mandeln. Das Zusammenzucken vereinzelter Gäste nahm er mit einem trägen Lächeln zur Kenntnis. Dann fuhr er sich mit der Hand durch sein mit sonnengebleichten Strähnen durchzogenes Haar und brachte es damit durcheinander.
Alles in allem, dachte Lydia, schien er eher den Wunsch zu verspüren, gleich einzuschlafen, als Unruhe zu stiften. Doch als er bemerkte, dass die Diener das Gedeck für ihn am hinteren Kopfende des Tisches auflegen wollten, richtete er sich zu voller Größe auf und trat vor. »Ich möchte gerne hier sitzen«, verkündete er und tippte mit der Fingerspitze genau Lydia gegenüber auf die Tischdecke.
Ihr schwante nichts Gutes. Ana, die ihr Lachen verborgen hatte, ließ die Hand sinken und warf Lydia einen beunruhigten Blick zu. Lydia schüttelte den Kopf. Das war bestimmt nur ein Zufall. Seit ihrem verpatzten Vortrag war bereits über eine Woche vergangen. Hätte er den Wunsch verspürt, darauf zu reagieren, hätte er es schon längst getan.
Nach einer weiteren Minute war der Tisch fertig umgedeckt. Auf das Nicken der Countess hin nahmen die Gäste ihre Plätze wieder ein. Zum Glück dinierten sie nicht bei ihnen zu Hause. Dann hätte es eine halbe Stunde gedauert, um das Geschirr abzuräumen und neu aufzudecken.
Die Unterbrechung überschattete die Tischgesellschaft. Als das Diner fortgesetzt wurde, war nur noch das Klirren von Tafelsilber und Kristallgläsern zu hören. Lydia warf einen verstohlenen Blick auf den Earl. Er war hochrot im Gesicht und hatte seine Gabel nicht wieder in die Hand genommen. Sein finsterer Blick war fest auf seinen Sohn gerichtet.
Der Sohn schenkte dem keinerlei Beachtung und machte sich mit übertriebener Begeisterung daran, eine Wachtel zu verzehren. »Sehr schmackhaft«, lobte er. Und dann, nach dem nächsten Bissen: »Sieh an, sieh an. So köstlich wie die Ironie.«
Diese Äußerungen trugen nicht gerade zur Wiederbelebung des Gesprächs bei.
Lydia fiel auf, dass Ana verstohlen zu ihm schielte, und seufzte innerlich. Die förmliche schwarze Kleidung stand dem großen, hageren Viscount gut, bemerkte sie. Der strenge Knoten seiner Krawatte hob die Konturen seines Gesichts hervor: die hohen Wangenknochen, das schneidige Kinn. Das Licht von den Kronleuchtern hob die goldenen Strähnen in seinem hellbraunen Haar hervor, und seine langen Wimpern warfen kleine Schatten, wenn er nach unten auf seinen Teller blickte. Doch sein Aussehen war kein Gemälde, das man für seine Schönheit bewundern sollte. Hinter diesem Gesicht verbarg sich ein Mann, der seine Attraktivität wahrscheinlich dafür ausnutzte, alle möglichen unehrenhaften Ziele zu erreichen. Ja, der einzige Schluss, den man aus seinem Aussehen ziehen konnte, war, dass es auf der Welt keine Gerechtigkeit gab und dass die Philosophen sich geirrt hatten und Schönheit in Wahrheit auf ein schwarzes Herz hindeutete. Denn Lydia fürchtete, dass selbst der Teufel höchstpersönlich James Durham nicht das Wasser reichen könnte.
Vielleicht war ihr Ressentiment zu spüren, denn er hob kurz den Blick zu ihr. Seine Augen waren von einem bemerkenswert hellen Grau. Sie hatte keine Ahnung, wie ihr das im Institut hatte entgehen können. Während sie wie gebannt in dieses Grau starrte, verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln und eine Augenbraue zuckte nach oben. Er macht sich lustig über mich. Errötend senkte sie den Blick. Der arrogante Schurke bildete sich wahrscheinlich ein, dass sie in ihn verliebt sei.
Gerade, als die Stille unerträglich wurde, erinnerte sich die Countess ihrer Pflichten. Sie räusperte sich und fragte: »Wie geht die Arbeit Ihres Vaters voran, Lady Southerton?«
»Gut, denke ich«, antwortete Sophie. »Aber nach den Einzelheiten werden Sie
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