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Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)

Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)

Titel: Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
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sie sanft. »Ihr werdet diesen Streit heute nicht mehr beilegen. Und ich glaube, ihr habt euch schon genug Schmerz zugefügt.«
    Wenn sie Moreland irgendeiner Empfindung für fähig hielt, dann kannte sie einen anderen Mann, als James es tat. Ihr zuliebe brachte er ein schwaches Lächeln zustande, machte auf dem Absatz kehrt und lief zur Tür.
    Im Treppenhaus überraschte er einen Diener, der müßig an einer Anrichte lehnte. Erschreckt nahm der Mann Haltung an. »Sie gehen, Sir?«
    »Ich benötige keine Begleitung.« Gott stehe ihm bei, er war in dem Haus aufgewachsen!
    Der Mann schluckte hörbar. »Entschuldigen Sie, Sir. Befehl von Lord Moreland.«
    »Ha! Na schön.« James durchquerte mit raschen Schritten das Treppenhaus und betrat den Vorraum. Er musste hier raus. Schon die Luft hier drin erstickte ihn.
    Als er an einem Blumenständer vorbeikam, lief er langsamer. Seine Stiefmutter hatte den Raum neu dekoriert. Eine schlichte Farbzusammenstellung aus Blau und Weiß herrschte jetzt vor. Weiße Orchideen neigten ihre anmutigen Hälse über die Ränder blauer böhmischer Vasen; die Teppiche, Gardinen und Polstermöbel waren kobaltblau. Sie hatte schon immer merkwürdige Überzeugungen über Farben gehegt und ihnen eine Vielzahl von Fähigkeiten zugeschrieben: Weiß, um den Geist zu beruhigen, Blau, um zu Entgegenkommen zu ermutigen. Zwei sehr ehrgeizige Ziele, wenn man mit Moreland zusammenlebte.
    Er berührte das wachsartige Blütenblatt einer frischen Orchidee. Stella hatte die Countess wie eine Mutter geliebt. Was hielt Lady Moreland von der Sache? Vermisste sie ihre Stieftochter? Kümmerte sie Stellas Freiheit überhaupt nicht?
    James blickte zum Fenster. Ein ungewöhnlich starker Wind hatte sich erhoben, Zweige peitschten gegen die Glasscheibe. Er trat näher und sah, wie der Sturm auf ihn zurollte und die Spitzen der Bäume bog, sodass sie sich nach ihm krümmten wie Klauen.
    Wumm: Der Sturm traf aufs Fenster. Die Glasscheibe klapperte, als Fetzen aus toten Blättern und Regentropfen dagegenspritzten. Er legte die flache Hand an die Scheibe und stellte fest, dass sie eiskalt war. »Oh, to be in England«, zitierte er spöttisch Robert Browning, »now that April’s there.«
    In Nizza wäre es jetzt sonnig. Leider Gottes konnte er nicht hin: Sein Vater wäre nur allzu dankbar, wenn er verschwände. Die Langeweile der Saison dehnte sich endlos vor ihm aus, länger und trostloser als der Ausblick durch die Glasscheibe. Du hältst Stella für verrückt . Du glaubst, sie würde dir Probleme bereiten, dein bequemes kleines Leben stören. Oh ja. Solange sein Vater noch hier war, um es zu erleben, würde er bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag in London bleiben.
    Er machte sich am Fensterflügel zu schaffen. Lassen wir ruhig alles rein, dachte er. Wind, Zweige, Regen, Graupel – den Geruch eines trostlosen, scheußlichen, deprimierenden Londoner Frühlings.
    »Sir«, sagte der Diener nervös. »Bitte nicht, Sir. Ich habe gerade einen Blitz gesehen.«
    »Aber wissen Sie es denn nicht?«, fragte James sarkastisch. »Ich bin unbesonnen und leichtsinnig.«
    Der Diener zögerte und trat dann hastig einen Schritt zurück. »Nein, Sir.«
    »Ein unbesonnener, leichtsinniger Tunichtgut – das war der Wortlaut, glaube ich.« Überrascht vom Widerhall dieser Bemerkung hielt er inne. Erst unlängst hatte jemand eine ganz ähnliche Meinung geäußert. Die reizende Miss Boyce. Überprivilegiert und unterbeschäftigt. Unaufrichtigkeit gehörte nicht gerade zu ihren Schwächen. Vielleicht hatte ihn das dazu bewogen, im Gegenzug auch zu ihr ehrlich zu sein. Es war ziemlich unterhaltsam, aus einem so üppigen Mund derart klare Urteile zu hören. Einem unterbeschäftigten Mund, wie er fand. Sie sollte ihm wirklich für die Beschäftigung danken, die er ihrem Mund verschafft hatte.
    Er richtete sich auf und bedachte den verwirrten Diener mit einem Grinsen. Die Ballsaison zog sich immer noch zu lange hin, aber er wüsste sich schon zu beschäftigen.
    Es ging schon auf ein Uhr zu. Draußen, auf den Galerien drängten sich die Touristen, um den besten Blick auf die Elgin Marbles zu ergattern. Im Lesesaal hingegen herrschte Ruhe. Hunderte von Arbeitstischen, kreisförmig um die große Reihe aus Katalogen mit blauen Einbänden aufgestellt, waren fast alle besetzt. Viele gedämpfte Gespräche verschmolzen zu einem leisen Murmeln, das Lydia leicht schläfrig machte. In der Reihe vor ihr kommentierten zwei uralte Männer, noch mit den langen

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