Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)
sie den Blick auf ihren Schoß. Sie hatte noch nie eine andere sein wollen als sie selbst. Doch für einen kurzen Moment reizte sie der Gedanke, in Mrs Chudderleys Körper aufzuwachen. Schön zu sein und bewundert zu werden, und die Freiheit zu haben, so viele leichtfertige Fehler zu begehen, wie sie wollte, weil er für sie da wäre, wenn sie eine starke Schulter brauchte, und ihr wieder aus dem Schlamassel helfen würde.
Dieser Wunsch ernüchterte sie. Es lag etwas höchst Unwürdiges darin – als schmälerte sie ihre eigenen Fähigkeiten und wartete lieber auf einen Helden, der sie errettete, obwohl sie sehr gut allein zurechtkam. Zudem machte ein kurzer Flirt sie noch nicht zu einer Frau, die die Aufmerksamkeit eines Mannes langfristig fesseln konnte. Sie war von Natur aus eher ernst als albern, und jeder, der sich länger als ein paar Tage zu ihr hingezogen fühlte, würde bald feststellen, dass sie doch nicht so unterhaltsam war wie erhofft. Jedenfalls war es bei George so gewesen.
Sie räusperte sich und sagte: »Ich könnte einen bewaffneten Diener mitnehmen. Aber Bedienstete tratschen, und es ist unerlässlich, dass sich die Nachricht über die Fälschungen nicht verbreitet.«
»Oh ja, Gott bewahre, dass Klatsch und Tratsch den Ruf Ihres Vaters beflecken.« Ihr gefiel der Sarkasmus nicht, der aus diesen Worten klang. Hätte er nicht sofort weitergesprochen, hätte sie dagegen aufbegehrt. »Was für ein furchtbares Dilemma für Sie, Miss Boyce. Um den Ruf Ihres Vaters zu schützen, sehen Sie sich mit der Bedrohung Ihres eigenen konfrontiert. Eigentlich mit zwei Bedrohungen: eine aufgrund Ihrer Eskapaden und eine weitere aufgrund meiner Aufmerksamkeiten. Sie müssen ganz schön verzweifelt sein.«
Diese Antwort, vorgebracht in einem Ton amüsierten Mitgefühls, war so weit von dem entfernt, womit sie gerechnet hatte, dass sie ihm eine Antwort schuldig blieb. Wie dumm, von der Vorstellung verletzt zu sein, dass er sich über ihre Probleme amüsierte. Aber da dies so unvermittelt auf ihr einvernehmliches Lachen folgte, war es ihr unmöglich, ihre Bestürzung zu verbergen. »Mögen Sie mich denn so wenig?«
»Ganz im Gegenteil«, widersprach er sofort. »Ich mag Sie ungemein. Der Verdacht kam mir schon, als Sie vom Rednerpult herunterrauschten wie Athene, die Gerechtigkeit bringt. Aber so richtig klar wurde es mir erst, als Sie in mein Arbeitszimmer platzten und die Stele verlangten. Und jetzt beabsichtigen Sie auch noch, nach St. Giles zu fahren – und das alles nur der Karriere des lieben Herrn Papa zuliebe?«
»Es ist nicht nur seine Karriere, Sanburne. Es ist seine Berufung.«
»Und was ist Ihre Berufung? Ihr Vater?«
Beleidigt warf sie sich in die Brust. »Natürlich kann man von Ihnen nicht erwarten, dass Sie wissen, was Loyalität ist. Sie, der Lord Moreland mit absoluter Geringschätzung behandelt.«
»Das ist allerdings wahr«, sagte er unbeschwert. »Manchmal grenzt es an offenen Hass.«
»Schämen Sie sich«, murmelte sie. »Sie sprechen von Ihrem Vater .«
»Na und? Blutsverwandtschaft ist dem Zufall geschuldet, Liebste. Das Einzige, was wirklich daraus folgt, ist Nähe. Und manchmal nicht einmal das, wie viele der Bastarde auf der Welt Ihnen nur allzu gerne versichern werden.«
»Was für eine Gefühlskälte! Wem schulden Sie denn Loyalität, wenn nicht dem Mann, der Sie gezeugt hat?«
Er zuckte mit den Achseln. »Denen, die sie sich verdient haben. Alten Freunden et cetera.«
»Aber Vertrauen verdient man sich doch nicht«, entgegnete sie hitzig. »Genauso wenig, wie man sich Liebe verdient. Sie wird einem aus freien Stücken geschenkt und erwartet keine Gegenleistung. Sanburne, ich bin sehr schockiert von Ihnen!«
»Und ich von Ihnen«, sagte er mit einem Augenzwinkern. »Wenn man sich Liebe nicht verdient hat, dann ist man ihrer per definitionem nicht wert – was ziemlich gefährlich ist. Konsultieren Sie nur Ihren Äneas. Dido hätte sich ihren Selbstmord sparen können, wenn sie sich vorher gefragt hätte, ob Äneas ein gebrochenes Herz überhaupt wert war. Ich persönlich habe ihn immer für einen Flegel gehalten.«
Sie sprang auf. »Ich finde, Sie sind der Flegel.«
Er erhob sich ebenfalls. »Zweifellos«, sagte er. »Aber wenigstens ein ehrlicher. Und wenigstens werden Sie von nun an so klug sein, sich nicht in mich zu verlieben, denn ich werde es ganz sicher nie verdienen.«
Sie starrte ihn entgeistert an. »Ich hatte nichts dergleichen vor. Also wirklich, was für eine
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