Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)
beengte Dachkammern und schlechten Umgang hin. Sie begrüßte sie lächelnd und gab sich höflich-überrascht, als sie von Sanburnes gesellschaftlichem Rang erfuhr. »Was für eine angenehme Gesellschaft für einen kleinen Plausch«, flötete sie und winkte die beiden zu einer Bank, die ihnen allen genug Platz bot. Als Miss Marshall sich wieder setzte, arrangierte sie ihre braunen Röcke durch ein beiläufiges Drehen ihres Handgelenks so, dass sie elegant fielen. »Erstaunlich, dass Sie mich hier gefunden haben.« Ihre Vokale waren langgezogen, kultivierter, als man es bei dem Umgang, den sie von Kindesbeinen an hatte, von ihr erwartet hätte. Lydia meinte, in ihrer Aussprache das Echo von Mr Hartnetts Stimme zu hören. »Was für ein Glück. Ich habe Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um Sie zu ausfindig zu machen, Miss Boyce.«
Das klang nicht gerade nach Erpressung. Als die Frau mit ihr anstoßen wollte, ließ Lydia sie gewähren. »Ich hoffe, Sie verraten mir auch den Grund, Miss Marshall.«
Miss Marshall trank einen großen Schluck und stellte ihren Krug mit einem Scheppern wieder ab. »Verzeihung«, murmelte sie, den Blick auf ihre Hand gesenkt. Lydia entging nicht, dass ihre Finger zitterten. »Ich wollte Sie um meinen Anteil bitten.« Mit einem entschlossenen Zug um den Mund blickte sie auf. »Ich habe ihn mir verdient.«
Lydia zögerte. »Ich verstehe nicht.«
Die Frau trommelte mit dem Fingernagel an ihren Krug. »Ich will ganz offen zu Ihnen sein, Miss Boyce. Es war ein gutes Geschäft, solange es dauerte. Und hätte er mich finanziell abgesichert, wäre ich auch nicht so dreist. Aber elf Jahre, so gut wie verheiratet, und was hinterlässt er mir? Gar nichts. Ich verdiene auch etwas, finden Sie nicht?«
Sie hatte keine Ahnung, was sie darauf entgegnen sollte. Zum Glück schaltete sich jetzt Sanburne ein. »Werden Sie konkreter, Madam. Was genau verdienen Sie?«, erkundigte er sich leise.
»Nur einen von ihnen.« Miss Marshall sah sich verstohlen um und beugte sich vertraulich vor. »Ich will von dem Erlös aufs Land ziehen. Mir ein hübsches Stück Land kaufen. Das ist ein gutes Geschäft für Sie, Miss – und ich habe es mir verdient. Hätten Sie ohne mich einen Hehler gefunden?«
Die Frau redete Unsinn. Lydia konnte nur mit dem Kopf schütteln, ein Ausdruck schlichter Fassungslosigkeit.
Stirnrunzelnd lehnte sich Miss Marshall wieder zurück. »Lehnen Sie mein Angebot nicht ab«, sagte sie. »Sonst bleibt mir keine andere Wahl. Ich habe einen Freund, der in der Fleet Street arbeitet. Er würde die Nachricht lancieren.«
Die Nachricht?
Sanburnes Hand schloss sich über ihrem Handgelenk und übte gleichbleibenden Druck aus. »Sie meinen, Sie wollen eine der Fälschungen?«
»Fälschungen? Ah, ich verstehe. Wurden sie dafür benutzt? Clever. Aber nein, damit kann ich nichts anfangen. Ich kann sie ja schlecht weiter verschiffen. Ich will nur einen von den Edelsteinen.«
Die Lähmung, die von Lydia Besitz ergriffen hatte, legte sich schlagartig. »Wollen Sie damit andeuten, dass mein Vater ein Schmuggler ist?«
Miss Marshall verstummte. »Oh mein Gott!« Sie stieß ein ersticktes Lachen aus. »Sie wollen mir doch nicht weismachen, dass Sie nichts davon wussten?«
Lydia sprang auf. Sie lachte? »Ich weiß nicht, was Sie sich von diesen Lügen versprechen.« Sie sprach mit großer Beherrschung. Sie würde sich nicht verausgaben und dieses Flittchen auch noch anschreien. »Wenn Sie noch einmal Kontakt zu mir aufnehmen, hetze ich die Polizei wegen Erpressung auf Sie.«
Als sie durch den Durchgang zurück in den vorderen Teil des Lokals lief, holte Sanburne sie ein. »Lydia. Vielleicht sollten wir uns anhören, was sie noch zu sagen hat.«
»Was sie noch zu sagen hat?« Sie ging auf ihn los. »Sie hat meinen Vater des Diebstahls bezichtigt!«
»Sie weiß von den Fälschungen«, entgegnete er unbeeindruckt. »Wie sollte sie von ihnen wissen, wenn Hartnett nicht vorgehabt hätte, sie entgegenzunehmen?«
Ja. Wie konnte Hartnetts Mätresse davon wissen? Sie holte tief Luft. »Hat Hartnett etwa diese Ersatzstücke organisiert? Aber warum? Er war Papas liebster Freund!«
»Lydia, Sie sind eine intelligente Frau. Sie haben schon früher erwähnt, dass Ihr Vater für seine Projekte eine Menge Geld benötigt. Haben Sie wirklich noch nie die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass er dabei seine Finger im Spiel hatte?«
Sie klappte den Mund auf, um ihn in seine Schranken zu weisen, doch der Impuls
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