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Rütlischwur

Rütlischwur

Titel: Rütlischwur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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über ihn gebeugt und er das schimmernde Grün ihrer Augen bemerkt hatte.
    »Ich habe die Augen meiner Mutter«, sagte sie. »Man sieht es deutlich auf alten Fotos. Ende der siebziger Jahre, als die Bilder farbig wurden.«
    »Ich habe Anne-Christine gekannt«, bemerkte Eschenbach, »vor über dreißig Jahren. Das ist lange her. Ich wundere mich, warum es mir nicht gleich aufgefallen ist.«
    »Sie wissen es also.«
    »Ja, und Sie anscheinend auch.«
    Judith nickte.
    Schweigend sahen sie zu, wie die mächtige Bugspitze durch die Wellen pflügte. Einmal hob sich die Gischt in einer Fontäne bis zu ihnen hoch. Judith streckte ihre Hände aus. Als das Wasser sie im Gesicht traf, lachte sie.
    Nach der Seebiegung bei Brunnen riss ein Stück Wolkendecke auf, und wie ein zu spät gekommener Gast, der ein Geschenk brachte, schien plötzlich die Sonne.
    Eschenbach blinzelte. Er spürte Judiths Körper an seiner Seite und wie sie ihren Arm um seine Taille legte.
    »Haben Sie so etwas Schönes schon einmal gesehen?«
    In der Ferne konnte Eschenbach den Schiffssteg ausmachen. Und oben am Hang, als hätte man eine kleine Lichtung in den finsteren Wald gehauen, schimmerte im einfallenden Licht jadegrün die Rütliwiese.
    Eine Weile sagte keiner der beiden ein Wort. Erst als Judith von seiner Seite wich, räusperte sich der Kommissar und knüpfte an ihr Gespräch an.
    »Werden Sie die Pläne von Ernest weiterverfolgen?« Er sah etwas besorgt zu, wie Judith sich auf die Reling stemmte und dort Platz nahm. »In der Form eines Hawala-Systems, meine ich?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Hawala ist nur ein Zahlungssystem. Damit daraus ein Bankensystem wird, braucht es mehr. Die Leute wollen ihr Geld in einem sicheren Hafen wissen. Das waren früher einmal der Dollar, der Euro … Aber die Welt hat sich verändert. Die Staaten gehen pleite.«
    »Gold vielleicht?« Eschenbach hob die Augenbrauen. »Ich habe einmal gelesen, dass sämtliche Goldvorräte auf der Welt unter dem Arc de Triomphe Platz hätten.«
    »Arc de Triomphe würde Ernest passen«, Judith lachte. »Er hat einige der alten Militärfestungen in den Alpen aufgekauft. Das hat er mir einmal erzählt. Auch so eine Idee von ihm. Aber wenn ich mir das jetzt überlege, zusammen mit dem Gold … War­um nicht? Mir gefällt der Gedanke, dass eine globale Bank einzig und allein auf Vertrauen basiert. Nur das Wort der Teilhaber zählt.«
    »Wie der Rütlischwur.«
    »Genau.« Judith streckte beide Hände in die Luft: »Ich schwöre.«
    Als Eschenbach sah, wie Judith auf dem Geländer saß und, ohne sich festzuhalten, hin und her wippte, machte er einen Satz nach vorn.
    »Halt mich fest!«, rief sie.
    Der Kommissar legte beide Hände um ihre Taille. »Hör auf damit, bitte!«
    Judith beugte sich vor und schlang ihre Arme um seinen Nacken. Ihr großes Medaillon, das sie an einem schwarzen Gummiband um den Hals trug, baumelte in der Luft, direkt vor Eschenbachs Gesicht.
    »Was ist das eigentlich«, fragte er. »Es ist mir schon ein paarmal aufgefallen.«
    »Ein Keltenkreuz … Es bringt mir Glück.«
    »Ziemlich groß für einen Glücksbringer, finde ich.«
    »Hmm.«
    Der Kommissar spürte Judiths Mund auf seiner Stirn, und er nahm wahr, wie ihre weichen Lippen langsam über seinen Nasenrücken nach unten glitten. Mit einer sanften Bewegung löste er sich aus ihrer Umarmung. Gerade so weit, dass er ihr in die Augen blicken konnte.
    »Was ist damals passiert, in der Nacht, bevor ich den Unfall hatte?«
    »Hab ich dir eigentlich einmal erzählt, dass ich Poker spiele?« Sie zog ein 52er Kartenset aus ihrer Hosentasche. »Ich war ­sogar einmal recht gut … Hab eine Menge Geld damit ver­dient.«
    »Um das geht es doch jetzt nicht.«
    »Doch! Es geht immer um Karten. Sie werden gemischt – jeder bekommt seine Hand. Und damit muss er leben. Machen wir ein kleines Spiel!«
    »Nein.«
    »Wie viel Farben gibt es?«
    »Vier«, sagte Eschenbach etwas mürrisch.
    »Richtig. Pik, Kreuz, Herz und Karo. Es sind die vier Jahreszeiten. Jede dauert dreizehn Wochen. Das entspricht genau der Anzahl Karten einer Farbe. Und jetzt frage ich dich, wie viel Karten mit Bildern gibt es?«
    Eschenbach zuckte die Schultern. »Bube, Dame, König – das alles mal vier macht zwölf.«
    Judith lachte. »Siehst du? Zwölf Monate hat das Jahr. Und wie viele Karten machen ein Spiel?«
    »Zweiundfünfzig.«
    »Das sind die Wochen!« Judith begann eine Karte nach der andern in den Wind zu werfen. »Und wenn man

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