Ruf der Dämmerung (German Edition)
den Schleier zu fangen und ihn Ainné anmutig zurückkommen zu lassen, überforderte ihn. Er ließ ihn fallen und Viola schnappte ihn sich schnell. Ohne recht zu wissen, was sie damit tun sollte, hielt sie ihn in der Hand, während die Tanzfläche sich nun langsam füllte. Bis Shawna sie von hinten anstupste.
»Kommst du jetzt?«
Viola ließ sich das nicht zweimal sagen. Shawna musste sich in Lichtgeschwindigkeit umgezogen haben, auf jeden Fall trug sie Jeans und Regenmantel und hatte auch für Viola eine Wachsjacke mitgebracht. Allerdings ohne Kapuze. Viola zögerte kurz, schlang sich dann aber Ainnés Schleier um den Kopf. Besser ein Seidenschal als gar nichts – und Ainné würde ihn sicher in den nächsten Stunden nicht vermissen.
Viola zog ihr Kleid hoch und schwang sich auf Shawnas Gepäckträger. Der Sitz war mehr als unbequem, aber ein paar Minuten würde es gehen. Sie klammerte sich an die Freundin, während Shawna durch den Sprühregen bergab knatterte. Die Geschwindigkeit erschien Viola atemberaubend, aber das lag sicher eher an ihrem unsicheren Sitz als am Tempo des Mopeds.
»Die Karre ist so langsam …«, schimpfte Shawna. »Gut, dass es wenigstens bergab geht … Festhalten, Vio, ich fahre auf den Feldweg …«
Shawna kannte so ziemlich alle Abkürzungen und lenkte ihr Zweirad nun derart halsbrecherisch querfeldein, dass Viola vergaß, sich um Ahi Sorgen zu machen. Erst mal wollte sie selbst überleben. Aber dann kam die Straße wieder in Sicht und gleich darauf passierten sie auch das Ortseingangsschild von Roundwood. Viola sah auf die Uhr. Noch fünf Minuten zu spielen!
Die Mädchen stürmten auf den Sportplatz, der an diesem Nachmittag einem brodelnden Hexenkessel glich. Die kleinen Tribünen barsten vor Menschen, die schrien und tobten. Shawna warf einen Blick auf die Anzeigetafel: »Unentschieden, bisher unentschieden!«
Viola suchte Ahi auf dem Platz. Eigentlich erkannte sie ihn immer sofort, Katja hatte recht, sein Laufstil unterschied sich vollkommen von dem der anderen. Aber jetzt war nichts von ihm zu sehen. Ob er doch nicht gekommen war? Aber dann hätte Killarney Roundwood längst geschlagen! Ohne Ahi wären niemals fünf Tore gegen eine nationale Spitzenmannschaft gefallen.
Shawna hatte inzwischen bereits Jenny und Moira auf der Ehrentribüne erspäht. Hier waren eigentlich nur die Freundinnen und Eltern der Spieler zugelassen, aber vielleicht hatten die zwei sich ja von Mike und Hank einladen lassen – oder von Ahi? Zuzutrauen wäre es ihm, er hegte sicher nicht die Befürchtung, Viola damit zu verletzen. Ihre Neigung zur Eifersucht war ihm nach wie vor unverständlich. Aber jetzt war es sowieso egal.
»Wo ist Ali?«, herrschte sie die Mädchen an. »Ist … ist was passiert?«
Auf dem Feld wurde das Spiel gerade abgepfiffen. Nach sehr kurzer Pause würde es in die Verlängerung gehen.
Jenny und Moira waren beide rot im Gesicht und heiser vom Schreien. »Ja … nein …«, antwortete Jenny. »Also Ali ist nichts passiert, aber es war … irgendwie war es total komisch, es …«
»Was war?«, fragte Viola wild. »Was war komisch?«
»Nun reg dich nicht auf …«, beschwichtigte Moira. »Sie meint nur, dein Ali hätte sich ein bisschen komisch benommen. Im Grunde war es nur ein Foul, er hat einen von den anderen Jungs überrannt …«
»Überrannt?« Das sah Ahi nicht ähnlich. In keinem der bisherigen Spiele hatte er jemanden gefoult.
»Wahrscheinlich unabsichtlich«, präzisierte Moira. »Er rannte mit dem Sliotar auf dem Hurley Richtung Tor. Aber es standen gegnerische Spieler vor ihm, also spielte er ab, und das Ding landete dann auch praktisch auf Mikes Schläger – Ali ist da ja einfach … also irgendwie unglaublich! Aber er selber hatte sich wohl zu sehr auf den Ball konzentriert und fiel dabei über diesen anderen Jungen. Ganz heftig, wie gesagt, er rannte voll in ihn rein und muss ihn wohl böse getroffen haben. Der andere blieb jedenfalls liegen.«
Violas Augen suchten die Reservebank ab.
»Und dann haben sie ihn gesperrt?«, fragte Shawna.
Jenny und Moira schüttelten fast im gleichen Rhythmus die Köpfe. »Ach was, nur verwarnt. Der Schiri hat ja auch gesehen, dass es ein Unfall war. Aber Ali hat sich sozusagen selbst rausgestellt! Er war unheimlich besorgt um den anderen Jungen und hat ihm aufgeholfen und ist mit ihm in die Kabine oder was weiß ich …«, berichtete Moira.
»Jedenfalls ist er weg«, erklärte Jenny. »Seit zehn Minuten. Killarney hat
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