Ruf der Dämmerung (German Edition)
bekanntlich …«
»Schon gut, schon gut …« Wenn Viola Shawna jetzt nicht stoppte, würde sie noch drei Stunden von Pferden reden. Aber es stimmte schon, das blauäugige Pferd am See war cremeweiß gewesen. Und vielleicht war das graue ja sein Sohn oder sonst jemand aus der Familie. Dann wäre es ganz normal, dass beide blaue Augen hatten. Wenn das alles bloß nicht so viele Zufälle gewesen wären! Der Druck, die Pferde, die ihm glichen, der seltsame Junge …
Aber halt, niemand hatte von Menschengestalt gesprochen! Es waren die Silkies, die Mädchen verführten. Kelpies fraßen sie nur auf … Viola lachte ein unbehagliches Lachen. »Komm, lass uns zurückgehen. Mal gucken, was die Frau aus meinem Amethyst gemacht hat!«
Shawna nahm den letzten Bissen von ihrer heißen Apfeltasche und lief dann willig mit. Bestimmt brannte sie darauf, zu erfahren, was der Druck mit dem Kelpie kostete.
Und diesmal hatten sie Glück. Erin, eine ältere Frau mit fast weißem Haar, in dem aber noch irisch rote Fäden aufblitzten, war da und wusste natürlich auch den Preis ihres Drucks. Fünfzehn Euro. Genauso viel, wie Viola für ihren Anhänger bezahlte. Von Letzterem war sie einfach hingerissen. Die Schmiedin hatte den Amethyst in eine ganz schlichte Fassung aus Silberdraht eingefügt, aber noch ein paar mystische Kreise und Spiralen angebracht.
»Zeichen für Weiblichkeit«, bemerkte sie augenzwinkernd. »Damit du deine Identität bewahrst und dem Spender nicht ganz verfällst. Aber es muss schon ein Romantiker sein, wenn er Edelsteine ohne Fassung verschenkt, die er womöglich noch selbst gesucht hat. Findet sich selten heutzutage … Möchtest du noch eine Kette dazu?«
Viola konnte es sich eigentlich nicht leisten, aber den schweren Anhänger an eines der dünnen Kettchen zu hängen, die sie vielleicht noch zu Hause finden würde, erschien ihr denn auch keine gute Idee. Also kratzte sie ihr letztes Geld zusammen und erstand eine wunderschöne, passende Kette für zwanzig Euro. Dafür hätte sie auch fast schon eine der fertigen Ketten mit Anhänger bekommen. Die Schmiedin hatte recht: Der Schmuckstein war das Billigste an der Sache.
Shawna löcherte die Ladenbesitzerin inzwischen nach weiteren Informationen über Wassergeister in Pferdeform. Sie erfuhr, dass es auch ein Lied über sie gab, und sie plante, Miss O’Keefe am Montag davon zu erzählen. Viola versprach, ihr den Song der alten Rockgruppe Jethro Tull aus dem Internet herunterzuladen. Und dann wagte auch sie noch, eine Frage zu stellen. »Diese Kelpies, Erin … kommen die immer nur als Pferd oder könnten es … ich meine, könnten sie nicht auch wie die Silkies …?«
»Ob sie Menschengestalt annehmen?«, unterbrach Erin und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie trug ihr Haar stolz offen und ihre etwas füllige Gestalt steckte in einem langen, kaftanartigen Gewand. »Ach, weißt du, um die Kelpies ranken sich tausend Geschichten. Auch welche, in denen sie menschlich erscheinen. Sie sind zudem nicht immer böse – in einer Sage bittet eine Prinzessin sie um Hilfe gegen einen Thronräuber und ein Kelpie rettet sie vor seinen Schergen. Und es gibt Sagen, in denen Menschen Kelpies fangen. In Pferdegestalt werden sie zahm, wenn es einem gelingt, ihnen ein Halfter überzuwerfen.« Erin lächelte.
»Aber sie bringen doch Leute um?«, vergewisserte sich Viola. »Sie lauern Wanderern auf und locken sie in den See und da werden sie dann gefressen …«
Es war völlig unmöglich, in diesem Zusammenhang an den sanften Alistair zu denken.
»In den meisten Geschichten«, bestätigte Erin. »Aber manchmal heißt es auch nur, dass sie den Menschen die Seele rauben. In dem Song von Jethro Tull heißt es ›Ich stehle deine Seele für die Tiefe.‹«
»Aber die Leute sind anschließend tot«, beharrte Viola.
Erin nickte. »Ich denke schon«, meinte sie. »Aber es lässt sich ja relativ leicht vermeiden. Reitet einfach keine fremden Pferde!«
Sie lachte vergnügt. »Soll ich dir den Druck jetzt einpacken?«, wandte sie sich an Shawna. Die stimmte zu – und hatte offensichtlich keine Angst vor Wassergeistern. Sie schleppte Viola gleich noch in einen Möbelladen und erstand einen einfachen Holzrahmen für ihren Druck. Am Abend würde sie ihn in ihrem Zimmer aufhängen.
»Dann habe ich wenigstens ein Pferd, das mir ganz allein gehört«, erklärte sie.
Vielleicht mehr als ein Pferd, dachte Viola.
Wenn sie das alles an Katja schrieb, würde die sie
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