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Ruf der Dämmerung (German Edition)

Ruf der Dämmerung (German Edition)

Titel: Ruf der Dämmerung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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für eine ganze Familie. Trotzdem erkundete sie einmal zwischen zwei Regengüssen die kleine Insel, fand aber nichts, was auf ein Lager hindeutete. Es musste ein Haus geben, von dem auch die Einheimischen nichts wussten, vielleicht eine Hütte oben in den Bergen, in der früher Schwarzbrenner gehaust hatten … Das war durchaus möglich.
    Aber selbst wenn Alis Heim gänzlich abgelegen lag: Irgendwo mussten er und seine Leute doch einkaufen, sie mussten Geld verdienen … die ganze Geschichte erschien Viola immer unwirklicher, je länger sie den Jungen nicht sah. Vielleicht hatte sie ihn sich ja doch nur eingebildet – ihn und die wilden Pferde. Shawna hatte sich nach ihrem Dublin-Ausflug ausgiebig nach ihnen umgesehen, aber nicht mal eine Hufspur entdeckt.

    Dann jedoch, an einem milden, dunstigen Abend Ende September, an dem sich ein gelblicher Himmel im See spiegelte und den Wald in fast bedrohliches Licht tauchte, saß Alistair plötzlich auf einem der Felsen hinter dem Bootshaus.
    Viola erschrak ein bisschen, als sie ihn dort sah. So nah an menschlichen Behausungen war er bislang nie aufgetaucht. Sie schalt sich für den spontanen Gedanken. Alistair war ein Mensch! Weshalb also sollte er ihre Ansiedlungen meiden?
    »Was machst du denn hier?«, fragte sie dennoch anstelle einer richtigen Begrüßung.
    Alistair schenkte ihr ein schwaches Lächeln. Er wirkte heute noch schmaler und blasser als sie ihn in Erinnerung hatte. Aber seine seltsame, fremdartige Schönheit schlug sie trotzdem gleich wieder in Bann, als er sein fahlsilbriges Haar mit seinen langen Fingern zurückstrich.
    »Ich wollte dich sehen«, sagte er mit singender Stimme. »Du hast mir gefehlt …«
    Viola zuckte die Achseln. »Ich war hier«, bemerkte sie. »Du brauchtest nur anzuklopfen. Und ich war am See. Fast jeden Tag.«
    »Trotz des Regens?«, fragte Alistair.
    Sie nickte. »Der Hund braucht Auslauf.«
    Ali runzelte die Stirn.
    »Na ja, und meine Familie fällt mir auf den Wecker«, gab sie schließlich zu.
    Alistair lächelte müde. »Ich verstehe dich«, sagte er. »Die meine … sie lassen mich nicht gern fort, wenn es so regnet. Es gibt dann keinen Grund zu gehen …« Er wirkte traurig.
    Viola zwinkerte ihm zu. »Du solltest dir einen Hund zulegen …«, riet sie ihm dann. »Ich wollte gerade mit ihm rausgehen. Kommst du mit?«
    Sie musste zu einem normalen Umgang mit Alistair finden. Ein gemeinsamer Spaziergang war da ein guter Anfang.
    Wenn sie sich dagegen wieder neben ihn setzen sollte … wenn sie wieder krampfhaft versuchen sollten, einander nicht zu berühren …
    Alistair nickte und stand auf. Guinness dagegen schien nicht so begeistert von ihrem Begleiter. Statt wie sonst direkt neben und vor Viola herzutraben, hielt er Abstand.
    Viola wusste zunächst nichts zu sagen, bewunderte aber die Anmut, mit der Ali scheinbar mühelos neben ihr herschritt. Steigungen brachten ihn nicht außer Atem, über Bodenunebenheiten schien er zu tanzen – und auch sonst fiel ihr allerhand auf. Sie selbst trug heute eine warme Jacke, Alistair aber nach wie vor seine leichte, fast transparent wirkende Kleidung aus fließendem Stoff.
    »Frierst du nicht?«, fragte sie schließlich.
    Ali schüttelte den Kopf. »Eigentlich nicht. Nicht, wenn ich … wenn ich … na ja, wenn alles in Ordnung ist.« Sein Gesicht nahm einen gequälten Ausdruck an, und Viola fragte sich zum zweiten Mal an diesem Tag, ob etwas mit ihm nicht stimmte. Aller Anmut zum Trotz wirkte er schwächer, zarter und kleiner. Und etwas schien ihn zu bekümmern.
    Viola hätte ihn gern aufgeheitert und dann fiel ihr sein Geschenk wieder ein. »Schau mal!«, bemerkte sie und nestelte den Anhänger unter ihrer Jacke hervor. Sie trug den Amethyst fast immer. Wenn sie ihn nicht bei sich hatte, schien ihr etwas zu fehlen.
    Tatsächlich flog eine Spur des alten, strahlenden Lächelns über Alistairs ernstes Gesicht. »Wie schön!«, sagte er in kindlicher Freude und griff spontan nach dem Anhänger, um die Fassung von Nahem zu sehen. Dabei streifte er ihre Hand – und fuhr gleich darauf zurück, als ob er Viola geschlagen hätte. Auch sie wäre beinahe gestürzt. Die Berührung war nicht kühl, vorsichtig und anrührend wie sonst. Stattdessen erschien seine Hand eiskalt, und obwohl der Kontakt nur Bruchteile von Sekunden dauerte, war es, als wolle sich etwas an ihr festsaugen. Statt leichte Schwäche und wohligen Taumel zu spüren, wie nach den bisherigen Kontakten mit Ali, schien sie diesmal in

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