Ruf der Daemmerung
draußen ...«, erklärte auch John, der inzwischen begonnen hatte, lauthals nach seiner Frau zu rufen. Vergeblich.
»Glaubst du wirklich, sie ist da drüben?«, fragte Viola ihren Dad, während sie halbherzig half, das Boot ins Wasser zu schieben.
Alan McNamara schüttelte den Kopf. »Nie«, antwortete er. »Die sitzt wahrscheinlich in einem der anderen Camper und trinkt Tee. Oder hat sich von einem Auto mitnehmen lassen oder sonst was. Von uns jedenfalls hat keiner das Motorrad genommen, und wer sollte Interesse haben, damit eben mal bis zum Spielplatz zu fahren und es da liegen zu lassen? Aber unser Boot ist da drüben. Also komm, bringen wir's hinter uns!«
Alan bemühte sich, das Kanu ruhig zu halten, während Viola einstieg. Wobei er sich bestimmt nicht weniger mulmig fühlte als seine Tochter. Ihr Vater war Touristikfachmann, kein Sportler. Aber zweifellos hatte er Ainné zur Eröffnung des Bootsverleihs geraten. Da konnte er die Kanus jetzt nicht einfach verloren geben. Zumindest nicht ohne Streit zu riskieren.
Als sich Viola ins Boot quälte, demonstrierte ihr Dad Wetterfestigkeit und stand schon bis zu den Knien im Wasser. Jede Welle überspülte seinen Körper bis zur Hüfte und auch Viola bekam gleich einen Schwung ab. Sie klammerte sich verzweifelt an die fragile Kunststoffwand des Kanus, wobei sie versuchte, auch noch die Laterne festzuhalten. Allerdings war die Insel selbst ohne Licht kaum zu verfehlen, sie lag wie ein dunkler Schatten im tobenden Wasser.
Ihr Dad wuchtete sich hinter Viola ins Boot und versuchte ungeschickt, es vom Ufer wegzurudern. »Zurück ist es ganz einfach«, ermutigte er sie, wobei er jetzt gegen Sturm und Wellen anschreien musste. »Du brauchst dich praktisch nur treiben zu lassen ...«
»Wenn man sich dumm genug anstellt, kippen die Dinger auch sehr schnell um ...« Viola erinnerte sich an Patricks Warnung. Einfach konnte es also selbst bei ruhigem Wetter nicht sein. Aber Bill musste den See eigentlich kennen. Viola beruhigte sich damit, dass er sicher keine gefährliche Aktion dulden würde ...
Ihr Vater brachte denn auch genug Kraft auf, um die Insel schließlich zu erreichen. Er zerrte das Boot neben dem anderen ans Ufer, Viola fiel hin, als sie versuchte, vorher auszusteigen. Sie war nun völlig durchnässt und ihre Kleidung wog mindestens dreimal so viel wie sonst. Dazu die vollgelaufenen Stiefel ... Viola hätte sich am liebsten hingelegt und wäre nicht wieder aufgestanden - oder noch besser: hinlegen, einschlafen, aufwachen und feststellen, dass dies alles nur ein böser Traum war.
Tatsächlich wies ihr Dad sie jetzt allerdings an, die Insel wenigstens flüchtig nach Louise abzusuchen. Es war natürlich vergeblich. Das nasse und sturmumtoste Eiland war menschenleer.
»Also gut, das war's. Bringen wir diese verdammten Boote an Land und dann ab nach Hause!«, brüllte ihr Dad. »Wir können ja die Polizei anrufen. Soll der Officer die Tante suchen.«
Viola war ganz seiner Ansicht - Louise Richardson war ihr im Moment vollkommen gleichgültig. Alan hielt ihr wieder das Boot fest. Während sie suchte, hatte er auch dieses ausgeleert und halbwegs seetüchtig gemacht. Die Paddel hatten sich noch gefunden, ordentlich im Boot festgemacht. Louise hatte es zweifellos zurückgeben wollen und es dazu am Bootssteg des Campingplatzes vertäut.
»Rudern brauchst du eigentlich gar nicht, die Wellen bringen dich schon zum Strand«, brüllte Alan seiner Tochter zu.
Viola hoffte, dass er das wusste und nicht nur annahm - und wurde gleich eines Besseren belehrt, als ihr Dad ihr Kanu auf den See hinausschob. Er musste dazu weit ins Wasser waten und wurde prompt von weiteren Wellen durchnässt, die auch in das Boot schlugen. Und dann rissen Wind und See, die Wellen und die Strömung das Kanu fort in den Sturm. Viola wurde schlagartig klar, warum die Besitzer des Sommerhauses die Brücke gebaut haben mussten. Mit dem Boot war die Insel zwar leicht zu erreichen, aber wenn man zurückwollte, musste man gegen die Macht der Strudel ankämpfen. Kein Vergnügen für Damen mit Sonnenschirmen, bunten Hüten und leichten Sommerkleidchen. Und jetzt lebensgefährlich für Viola. Warum zum Teufel hatte Bill nichts gesagt? Wusste er nichts von dieser Strömung? Viola fiel siedend heiß ein, dass die O'Kelleys vor diesem Frühling nie einen Bootsverleih betrieben hatten. Und im Sommer war allein Patrick für die Betreuung der Wassersportler zuständig gewesen. Bill kümmerte sich nur um die
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