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Ruf der Daemmerung

Titel: Ruf der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Riana O Donnell
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Ahi führte sie mit aller Selbstverständlichkeit ans Ufer, wo ein kleines Ruderboot auf sie wartete.
    »Seit wann brauchen Kelpies Boote?«, fragte sie mit gespielter Heiterkeit.
    »Es hat sich losgerissen. Vom Anleger bei einer der Farmen. Der Mann war gestern fischen, aber er hat's nicht ordentlich angebunden. Ich bringe es nachher zurück«, meinte Ahi.
    Er reichte Viola fürsorglich die Hand, um ihr ins Boot zu helfen. Sie zögerte, bemühte sich aber, es ihn nicht merken zu lassen. Ahi hatte recht. Niemand würde sie auf der Insel suchen, zumindest nicht so bald. Wenn ihr - oder ihrem Körper? - irgendetwas passierte, würde es keinen Notarzt geben und keine Wiederbelebung oder was auch immer.
    »Kann ich ... nicht erfrieren?«, fragte sie erstickt.
    Ahis kühle, starke Hand legte sich um die ihre und sie fühlte sich sofort besser.
    »Viola ...«, sagte er sanft. »Denkst du wirklich, ich täte irgendetwas, um dir zu schaden? Dein Körper wird weiter atmen, dein Herz wird weiter schlagen. Etwas langsamer als sonst, vielleicht wirst du frieren, wenn du erwachst. Aber geschehen wird dir nichts, du wirst nicht einmal nass werden ...«
    Tatsächlich führte Ahi sie zu dem einzigen Eckchen des alten Gebäudes, das noch ein paar Dachstreben aufwies. Das üppige Grün auf dem Eiland hatte sich ihrer längst als Halt für Schlingpflanzen bemächtigt und so bot sich hier tatsächlich eine Art Unterschlupf, eine Mauernische unter einem Dach aus Ranken und Laub.
    Ahi musste gestern schon Moos darin aufgehäuft haben, denn auf Viola wartete ein trockenes Lager.
    »Leg dich entspannt hin«, forderte er sie auf. »Wenn du schief liegst, wird dir nach dem Aufwachen alles wehtun.«
    »Du hörst dich an, als wäre ich nicht das erste Mädchen, das du hierherbringst ...«, meinte Viola argwöhnisch. »Woher weißt du das alles? Bekommt ihr öfter menschlichen Besuch?«
    Ahi schüttelte den Kopf. »Du bist das erste Mädchen, das ich jemals angesehen habe«, beteuerte er, »mit den Augen meiner Seele. Und das erste, das ich berührt habe. Das erste, mit dem ich meine Gedanken geteilt habe. Du ...«
    »Und Lahia?«, fragte Viola. »Du hast mit ihr gespielt, als du klein warst, das hast du mir gezeigt ...«
    »Das ist etwas anderes ...«, meinte Ahi und wandte den Blick ab. »Lahia und ich ... teilen unsere Lieder. Und früher, sehr viel früher, sind auch menschliche Sänger und Harfner gekommen, um unsere Lieder zu teilen. Ich erinnere mich nicht daran - und auch keiner der anderen Amhralough, es ist zu lange her. Aber die Alten sagen, dass es einmal so war, in den goldenen Zeiten, in denen die Tore zwischen den Welten noch offen waren. Ein Teil der Seelen wusste damals zu wandern ...«
    Viola dachte an eine Geschichte aus Glendalough: Der heilige Kevin, der Gründer des Klosters, hatte damals in Frieden mit einem Seeungeheuer zusammengelebt und die Vögel hatten in seinen Händen ihre Nester gebaut ...
    »Du weißt, wir zählen keine Jahre«, sprach Ahi weiter. »Aber wir bewahren Erinnerungen. Deshalb weiß ich, wie es geht ... und deshalb heißen die Alten dich auch willkommen. Du bist der erste Mensch, der uns seit langer, langer Zeit besucht ...«
    Von den Jagdopfern mal abgesehen, dachte Viola unbehaglich, sagte aber nichts. Stattdessen setzte sie sich immer noch etwas unschlüssig auf das Lager aus Moos. Ahi hockte sich neben sie und zog sie in die Arme.
    »Vergiss jetzt die Jäger, Viola! Denk an die Sänger ... Verbinde dich mit mir, du weißt, es ist einfach ...«
    Zögernd überließ Viola sich ihm. Sie zitterte, als er jetzt vorsichtig nach ihrem Amulett griff und den Stein auf ihren Hals legte. In die winzige Grube, die Hals und Brust dort bildeten, wo sie ineinander übergingen. Ahis lange, schmale Finger ertasteten ihren Puls. Er schlug schneller, beruhigte sich aber, als der Stein seinen Platz fand. Sie meinte, ihn im Rhythmus ihres Atems pulsieren zu sehen.
    »Müsste ich jetzt müde werden?«, fragte sie unsicher.
    Ahi schüttelte den Kopf. »Nein, du wirst ja nicht schlafen. Entspann dich nur. Lass uns gemeinsam reisen ...«
    Seine Lippen streiften ihre Stirn, wanderten entlang ihrer Schläfe zu ihrer Wange, liebkosten sie wie ein Hauch ... und dann endlich schwand auch diesmal ihre Angst, sie fühlte sich leicht, glücklich und sicher, berührte Ahis arglose, freundliche Seele.
    »Von mir aus können wir gehen ...«, sagte sie, jetzt endlich optimistisch und neugierig.
    Ahi lächelte ihr zu. Sie stand auf,

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