Ruf der Daemmerung
ein Casting ist!«, gab Viola wütend zurück, erntete aber nur Unverständnis. Niemand von ihnen schien zu wissen, was ein Casting war. »Ich bin hier, weil Ahi mich eingeladen hat. Weil er ...« Ja was? Weil er ihr Freund war? Ihr Geliebter? »Weil unsere Seelen einander berührt haben«, formulierte Viola schließlich, wobei sie das eigentlich zu intim fand, um es auszusprechen.
»Was du ja geschickt eingefädelt hast, indem du ihm gerade so viel bacha gabst, um ihn an dich zu binden!«, geiferte die Frau.
Viola sah schutzsuchend zu Ahi hinüber. Und fragte sich, ob diese Ahlaya vielleicht seine Mutter war.
»Sie hat es mir nicht gegeben, ich habe es genommen!«, verteidigte er sie. »Sie wusste gar nicht, was sie tat. Aber jetzt sind wir eins - wir haben einander erwählt ...« Ahi warf Viola einen scheuen Blick zu.
Viola empfand Rührung, aber auch Scham und Verwirrung. Das klang wunderschön. Aber doch mehr wie Liebesgeflüster, das zwei Menschen untereinander tauschten. Nicht wie etwas, das man gleich bei der ersten Einladung der Freundin vor der ganzen Familie verkündete! Eigentlich klang es sowieso ein bisschen zu bombastisch. Viola war fünfzehn, Ahi kaum älter! Aber »erwählen« war für ihn vielleicht einfach nur der Begriff für »Wir gehen miteinander«. Nur: Was bedeutete dann »Eins sein«?
Viola hatte das Gefühl zu erröten.
»Du hast sie erwählt, aber sie will nicht mit uns singen?«, fragte einer der Männer skeptisch. »Wie wollt ihr dann zusammen leben?«
Ahi schien keine Worte zu finden.
»Bislang war keine Rede von Heirat.« Viola reichte es jetzt.
Lahia leckte sich die Lippen. »Aller Achtung, Ahi«, lächelte sie. »Sie hat tatsächlich bacha für zwei!«
»Hör nicht auf sie, Viola!«, sagte Ahi. Er hatte sein Instrument jetzt sinken lassen und kam zu ihr. Als er ihre Hand fasste, fühlte sie sich besser. Und schien die Stimmen der anderen auch gleich besser zu verstehen.
»Ich dachte ...«, sagte er dann. »Ich wollte ... Wir könnten vielleicht einmal hier sein und einmal dort ...«
»Und ich helfe auch gern mal mit ein bisschen bacha aus«, erklärte Viola mit einem bösen Blick auf Lahia. »Aber kein Neid, Lahia, du kannst dir ja jederzeit auch eine Menschenseele anlachen. Dazu müsstest du nur ein bisschen netter sein. Und ich würde es auch nicht unbedingt als Pferd versuchen ...«
Lahia blitzte sie an. Ahi schlug die Augen nieder. Viola spürte, dass die Stimmung in der Runde sich abkühlte. Dabei war der Angriff doch von Ahlaya ausgegangen. Viola wusste, dass sie sich zurückhalten sollte. Aber jetzt war sie in Fahrt. »Mal ganz abgesehen davon, dass es der Seelenverwandtschaft äußerst abträglich ist, wenn man seinen Partner aussaugt.«
»Sie wird ihn versklaven ...«, meinte eine der Frauen mit verzweifeltem Ausdruck und Blick auf Ahi.
»Ich bin aus freiem Willen bei ihr!«, sagte der Junge ruhig und legte den Arm um Violas Schulter.
»Warum versuchst du nicht einfach, mit uns zu singen?«, beschwichtigte die alte Frau und sah Viola in die Augen. »Du könntest ein Teil von uns werden, Menschenmädchen.«
Viola fragte sich, ob sie das wollte. Sie ahnte, dass miteinander singen‹ so etwas wie eine Aufnahme in den Stamm bedeutete. Und so schwer konnte es eigentlich nicht sein, den Rhythmus der Musik aufzunehmen und irgendetwas beizusteuern. Aber was gewann sie dadurch? Und was gab sie auf? War es das wert?
»Es ist schön bei uns, Mädchen ... «, sagte eine andere Stimme. »Gefällt der Gesang dir nicht? Wir tanzen auch. Wir sind. Du könntest mit uns ›sein‹.«
Viola empfand plötzlich Angst. Obwohl Ahi nach wie vor ihre Hand hielt. Doch, der Gesang war zweifellos schön gewesen. Aber gab es womöglich kein Zurück mehr, wenn sie ihn aufnahm? Und wollte sie hier ihr Leben verbringen? Von einem Lied zum anderen treiben - unterbrochen von einem Tanz mit der Strömung - und gemeinsamer Labung an geraubter bacha?
Die Kelpies hatten ihr Spiel wieder aufgenommen. Nur Ahi war noch nicht an seine Harfe zurückgekehrt, sondern stand nach wie vor neben Viola. Die Musik war jetzt noch betörender und berauschender. Viola fühlte sich an die Märchen vom Feenland erinnert: Es war traumhaft schön, erfüllt von Musik und Liebe. Aber wer dort einmal aß oder trank, kam nie mehr zurück ...
Sie schrak zusammen. Nein, sie wollte nicht zum Teil dieser fremdartigen Melodie werden! Nicht dahintreiben, ohne die Jahre zu zählen. Es gab mehr als süßes Gras und
Weitere Kostenlose Bücher