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Ruf der Drachen (German Edition)

Ruf der Drachen (German Edition)

Titel: Ruf der Drachen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yalda Lewin
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geheimen Fach am Brunnen«, sagte ich schließlich, um die Stille zu brechen, und kramte die Notiz aus meiner Jeans. Maren las sie mit gespanntem Gesichtsausdruck.
    »Umwälzungen?«, sagte sie dann und ein heiseres Reiben schlich sich in ihre Stimme. »Was vermutest du?«
    »Ich habe nicht die geringste Ahnung«, antwortete ich. »Aber vielleicht ist es auch nur ein unwichtiges Hirngespinst. Oder irgendein Kinderstreich. Könnte doch sein?«
    Ich ahnte, dass es so einfach nicht sein würde. Auch wenn mir diese Möglichkeit jetzt, mit der Aussicht auf eine ungeplante Reise nach Ostberlin, deutlich entgegenkam.
    Maren tippte auf den Zettel. »Ein Wolf, ein Kater und sieben Raben im Blick der Hirsche … Weißt du, wonach sich das für mich anhört?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Sag’s mir!«
    »Das muss der Märchenbrunnen sein!« Sie tippte mit dem Zeigefinger auf den Stadtplan. »Die Skulpturen im Volkspark Friedrichshain!«
    Gespannt beobachtete ich, wie Maren mit dem Lippenstift, von dem Kreis in der Mitte ausgehend, eine Linie in nordöstliche Richtung zog.
    »Hier«, sagte sie leise, als sie an einer großen Grünfläche endete. »Es passt genau. Das muss einer der Strahlen der Sonne sein. Und die Tiere sind ein Hinweis auf die Figuren.« Sie blickte mich an. »Du musst zum Märchenbrunnen, Jakob. Das steht in der Botschaft. Ganz sicher!«
    »Nach Ostberlin? Das ist nicht wirklich eine gute Idee«, antwortete ich ausweichend. »Ich habe eigentlich auch überhaupt keine Zeit.«
    »Du wirst aber ganz sicher keine Ruhe bekommen, solange du nicht dort warst«, entgegnete Maren eindringlich.
    Ich lehnte mich seufzend zurück und zog mir das Kissen über den Kopf.
    Ja, sie hatte recht. Und sie kannte mich verdammt gut für jemanden, den man so gar nicht kennt …
    ***
    Am frühen Abend kehrte ich nach Friedenau zurück. Das ganze Vorhaben war heikel, denn wenn Julius’ Eltern mich erwischen würden, wie ich erneut in ihrem Garten herumstromerte, war ich meinen Job als Klarinettenlehrer mit Sicherheit los. Doch ich wollte unbedingt herausfinden, welcher Rhythmus sich im dortigen Wasserspeier verbarg – und ob es auch hier vielleicht ein Geheimfach gab.
    »Lass uns zwischen 19 und 20 Uhr gehen«, hatte Maren gesagt, »dann sitzen Friedenauer Familien beim Abendessen und interessieren sich nicht die Bohne für ihren Vorgarten.«
    Dass Maren mich begleitete, war seit unserem Gespräch über die Wasserspeier klar gewesen – ohne dass wir es hatten thematisieren müssen. Ich hatte kurz in meiner WG vorbeigeschaut, um mich umzuziehen – wohlwissend, dass Max unterwegs war. Meine Klarinette hatte ich bei Maren gelassen. Es gab keinen Grund, sie unnötig herumzuschleppen.
    Punkt 19.30 Uhr öffneten wir vorsichtig die hüfthohe verrostete Schwingtür, die zur Stadtvilla der Meinerts führte. Leichter Bodennebel strich uns um die Füße und das Backsteinhaus sah unwirklich aus im gelben Licht der Gaslaternen.
    »Dort ist er«, flüsterte ich Maren zu und deutete auf den kleinen Wasserspeier neben der Eingangstür. Er wirkte wie stillgelegt und für einen Moment fürchtete ich, mich geirrt zu haben. Vielleicht hatte nur ein Zufall den merkwürdigen Rhythmus des Speiers bewirkt? Aber das Sonnensymbol hatte ich gesehen – und das konnte kein Zufall gewesen sein!
    Dann – ich wurde schon nervös, während wir uns in die Schatten der wuchernden Büsche drückten – ertönte das leise Gluckern, das auch beim letzten Mal meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Und nur Sekunden darauf drang Wasser aus dem Speier ins Freie. Ich merkte, wie Maren neben mir den Atem anhielt und wie gebannt auf den kleinen silbrigen Drachen an der Regenrinne starrte. Erneut spielte sich vor unseren Augen das Schauspiel ab, das ich schon zwei Tage zuvor beobachtet hatte.
    Ich nutzte die Zeit und notierte mir hastig die rhythmischen Einheiten des Wassers, als wäre es ein Musikstück, dem ich durch das Festhalten in Schwarz und Weiß eine andere Existenzform geben wollte, eine Sichtbarkeit auch für andere
Menschen.
    Dann, als der Speier wieder schwieg, verglich ich den notierten Rhythmus mit dem des Wasserspeiers aus Marens Hinterhof. Maren sah mir über die Schulter. Ich konnte ihre Anspannung regelrecht spüren, sie leitete sich wie eine Vibration über meine Haut weiter.
    »Oh«, sagte Maren dann enttäuscht. »Sie haben nichts miteinander zu tun.«
    Sie hatte recht. Die beiden Rhythmen waren vollkommen unterschiedlich. Ich hatte es schon

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