Ruf der Drachen (German Edition)
während des Hörens vermutet, doch nun, die Notation vor uns, gab es keinen Zweifel mehr. Die Notenbilder ähnelten sich nicht im Geringsten.
Ich biss mir auf die Unterlippe. Verdammt. Das war nicht, was ich erwartet hatte. Ich war der Überzeugung gewesen, dass irgendjemand in Berlin – aus welchen Gründen auch immer – Wasserspeier nach gleichem Prinzip aufgestellt hatte. Dass diese nun unterschiedliche Rhythmen von sich gaben, passte nicht ins Bild. Und wie um alles in der Welt sich eine Botschaft hinter dem Gesprudel des Wassers verstecken sollte, war mir auch noch schleierhaft. Aber vielleicht brachte eine kleine Erkundung uns weiter …
Ich legte einen Zeigefinger an die Lippen, nickte Maren kurz zu und huschte dann im Schutz der Schatten durch den Garten und die wenigen Stufen der Treppe hinauf. Mit klopfendem Herzen stellte ich mich auf die Zehenspitzen und untersuchte den Wasserspeier. Gab es auch hier ein Geheimfach? Hütete der Drache eine weitere Nachricht?
Ich spürte erneut die Gravur unter meinen Fingern, doch dieses Mal durchfuhr mich lediglich ein sanftes Prickeln statt des heftigen elektrischen Stroms. Als hätte mich der Drache wiedererkannt , zuckte es kurz durch meine Gedanken. Doch das war natürlich absurd …
Sechs, sieben, acht Strahlen. Doch so genau ich auch jeden einzelnen Millimeter des kühlen Metalls abtastete, ich fand kein Geheimfach.
»Komm schon!«, murmelte ich frustriert. »Wo versteckst du dich?«
Nochmals glitten meine Finger über das kühle Metall.
Nein. Nichts.
In diesem Moment stieß ich mit dem Fuß versehentlich gegen einige Blumentöpfe. Klirrend fielen zwei von ihnen um, rollten auf den Rand der Treppe zu – und bevor ich es verhindern konnte, fielen sie den knappen Meter hinunter und zerschellten auf dem ausgetretenen Kopfsteinpflaster des Gartens.
Nur Sekunden später flammte Licht im Flur auf. Ich sprang die Stufen hinunter und duckte mich hinter eine große Regentonne. Keine Sekunde zu früh, denn schon wurde die Haustür geöffnet. Eine große Gestalt trat auf die Vortreppe hinaus.
»Hallo? Ist hier jemand?«
Es war Julius’ Vater.
Ich unterdrückte ein Keuchen und hoffte inständig, dass Maren tief genug in den Schatten der Büsche versteckt war, um nicht entdeckt zu werden. Ich würde nicht untätig zusehen, wie man sie erwischte. Auf keinen Fall. Wenn man sie fand, würde auch ich mich stellen. Doch ich war wirklich nicht wild darauf.
Sekunden verstrichen, während mein Herz wie rasend schlug. Ich wagte es nicht mehr, die Treppe im Blick zu behalten, sondern hielt den Kopf gesenkt und machte mich so klein wie möglich. Die Regentonne verdeckte mich, doch Julius’
Vater musste nur die Stufen herunterkommen und etwas genauer nachsehen, dann saß ich in der Falle.
Glücklicherweise schien ihm ein oberflächlicher Blick zu genügen. Als sich im Garten nichts rührte, hörte ich ihn unwillig brummen: »Verdammte Katzen!« Dann wurde die Haustür wieder zugezogen.
Ich wartete noch einen Moment, dann hob ich vorsichtig den Kopf. Der Vorgarten lag wieder im Dunkeln. Und von Maren war weit und breit nichts zu sehen.
Ich huschte hinter der Tonne hervor, wich den Scherben der Blumentöpfe neben den Treppenstufen aus und rannte gebückt zu den Büschen zurück, hinter denen ich Maren zurückgelassen hatte. Sie war bis an den Gartenzaun zurückgewichen. Erst als ich ganz nah bei ihr war, sah ich ihr Gesicht im Mondlicht schimmern.
»Alles in Ordnung?«, flüsterte ich hastig.
Sie nickte stumm. Dann beugte sie sich vor uns küsste mich kurz auf den Mund.
»Ja. Alles gut. Meine Güte, ich dachte wirklich, der erwischt dich.«
Ihr Blick traf meinen und fast erschütterte mich die Intensität der Emotionen, die ich in ihm las. Konnte es sein, dass ich Maren wirklich etwas bedeutete, dass ich mehr war als nur ein Abenteuer? Es kam mir fast zu schön vor, um wahr zu sein.
»Und? Hast du etwas gefunden?«, fragte sie heiser.
Ich schüttelte den Kopf und griff nach Marens Hand. Sie fühlte sich warm an. »Es gibt kein Geheimfach – oder ich hatte nicht genug Zeit, um es zu finden. Glaub mir, ich weiß nicht, was wir da entdeckt haben. Aber es ist etwas Wichtiges. Auch wenn die Rhythmen nicht übereinstimmen.«
Marens Augen funkelten. »Oder gerade deshalb! Was, wenn nicht jeder Speier den gleichen Rhythmus hat, sondern sie sich ergänzen?« Sie sah mich erwartungsvoll an. »Wie eine Art … Zusammenspiel?«
»Musik also?« Ich runzelte die Stirn.
Weitere Kostenlose Bücher