Ruf der Drachen (German Edition)
ich noch einmal in Marens Wohnung sein wollte. Aber das hätte ich Thiel gegenüber niemals zugegeben …
Ich blickte mich suchend um. Wo war sie? Ich hatte sie auf Marens Schreibtisch gelegt, als ich die Wohnung zuletzt verlassen hatte. Doch dort war sie nicht mehr. Und auch sonst nirgends.
Ich durchsuchte die ganze Wohnung, blickte in jede Ecke, in jeden Schrank, durchkämmte jeden Winkel. Schließlich blieb ich wie betäubt mitten im Zimmer stehen. Die Klarinette, ein Erbstück, war nicht mehr hier! Sie war offensichtlich das Einzige, das Maren mitgenommen hatte. Und ich wusste in diesem Moment nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Mir war nach allem zugleich.
***
»Für dich! Irgend so ein komischer Typ.«
Max steckte nur kurz den Kopf ins Zimmer, dann war er wieder weg. Obwohl seit unserem Streit einige Tage vergangen waren, blieb unser Verhältnis angespannt, und ich hatte nicht den Eindruck, dass sich das in nächster Zeit ändern würde. Immerhin hatte er mich bisher nicht vor die Tür gesetzt. Vielleicht würde mein WG-Zimmer mir ja doch erhalten bleiben.
Verschlafen rappelte ich mich auf und strich mir die Haare aus dem Gesicht. Draußen war es stockdunkel. Ich war auf dem Bett liegend eingenickt, erschöpft von den Turbulenzen der letzten Tage, und hatte nicht einmal die schrille Türklingel gehört, die sonst auch Tote weckte.
»Kann ich reinkommen?«
Im Türrahmen stand Gunnar Thiel. Er trug seinen beigefarbenen Trenchcoat und einen dunkelbraunen Hut, mit dem er mehr denn je wie ein verkappter Filmstar aus den 30er Jahren wirkte. Oder ein Stasi-Agent. Doch inzwischen wusste ich ja selbst aus schmerzlicher Erfahrung, dass man solche nicht immer sofort erkannte. Und dass sie hübscher sein konnten, als man glauben mochte …
Ich rappelte mich auf.
»Wenn’s sein muss …«
Lustlos klaubte ich ein paar herumfliegende Bücher vom Boden und stapelte sie auf der Fensterbank, um meinem unerwarteten Gast wenigstens die Chance zu geben, das Zimmer auf einem schmalen Pfad zu betreten. Es war ein wenig eng geworden in dem großen Raum. Und ich hatte bisher keine Lust gehabt, mich ums Aufräumen zu kümmern.
Thiel kam herein und blickte sich mit unbewegter Miene um, während er sich einen Weg durch das Chaos bahnte.
»Gemütlich haben Sie es hier.«
»Finden Sie?«, fragte ich mit leicht zynischem Unterton, während ich ihm meinen einzigen Stuhl hinschob.
Thiel lächelte sanft, nahm Platz und schlug die Beine übereinander. Schweigend ließ er den Blick schweifen, bis dieser schließlich an dem schwarzen Flügel hängen blieb, der nun am Fenster meines Zimmers stand.
Ich lehnte mich gegen mein Bücherregal und versuchte, das Unbehagen zu ignorieren, das diese Beobachtung in mir auslöste.
»Sie haben Maren Ungers Flügel übernommen, ja?«
Ich nickte knapp. »Es bot sich an. Ich studiere Musik, wie Sie wissen. Und wann hat man schon mal die Gelegenheit zu einem solche Schnäppchen …«
Dass dies nicht der einzige Grund gewesen war, dem völlig überforderten Vermieter von Marens Wohnung das Instrument abzuschwatzen, behielt ich lieber für mich – mit dem unguten Gefühl, dass ich ohnehin durchsichtig wie Glas vor Gunnar Thiel stand.
Kann er wirklich Gedanken lesen oder habe ich mir das eingebildet?
Ich sah, wie Thiels Mundwinkel amüsiert zuckten, und ärgerte mich über mich selbst. Aber immerhin wusste ich jetzt, woran ich war.
»Also, was verschafft mir die Ehre Ihres Besuchs?«, fragte ich gereizt.
»Ich wollte mich erkundigen, wie es Ihnen geht«, antwortete der Leiter der Akademie.
Ich schnaubte leise.
»Wie soll es mir schon gehen? Die Frau, in die ich mich verliebt hatte wie schon lange in keine mehr, hat mich hintergangen und sitzen lassen. Das ist nicht unbedingt meine Vorstellung von einer guten Woche, wenn Sie verstehen, was ich meine.« Ich hob die Brauen. »Aber berührt Sie das überhaupt? Bei der staubtrockenen Art, mit der Sie sich immer umgeben, wage ich zu bezweifeln, dass Sie sich überhaupt näher auf Menschen einlassen.«
»Komisch. Die eigenen Schatten zeigen sich immer am deutlichsten in den Vorwürfen, die man anderen macht«, antwortete Thiel gelassen. »Aber keine Sorge – ich werte das einfach als Überforderung durch die aktuellen Ereignisse. War ein bisschen viel in letzter Zeit. Da würde jeder ins Trudeln geraten.«
Überforderung? Ich schnaubte verächtlich und wünschte mir in diesem Moment, ich hätte das Gespräch einfach verweigert.
»Ich bin
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