Ruf der Drachen (German Edition)
seiner Stimme lag plötzlich eine Anspannung, die mir vollkommen neu war. »Da war etwas! Kommen Sie schon, sagen Sie es!«
Ich zuckte betont gleichgültig mit den Schultern.
»Keine Ahnung, wovon Sie reden. Wenn ich irgendetwas gefunden hätte, dann wären Sie doch längst in meinen Gedanken darüber gestolpert. Und ich müsste es Ihnen nicht erzählen. Oder?«
Thiel starrte mich für einige Sekunden fasziniert an, so, als würde er versuchen, in meinen Gedanken etwas zu finden, an das er andocken könnte. Dann begann er urplötzlich so heftig zu lachen, dass sein ganzer Körper geschüttelt wurde.
Irritiert zog ich die Brauen hoch. »Was ist so witzig?«
Thiel richtete sich auf und wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel.
»Ich habe Sie unterschätzt. Sie sind gut, Jakob Roth. Verdammt gut. Und sie lernen schnell. Es wäre wirklich eine Verschwendung, wenn Sie den Weg an die Akademie nicht finden würden, soviel ist sicher.«
Damit klopfte er mir auf den Rücken und wandte sich zum Gehen. Ich hörte ihn lachen, bis die Wohnungstür hinter ihm zufiel.
Ich blieb wie angewurzelt in meinem Zimmer stehen. Meine Gedanken stolperten über sich selbst. Konnte es sein, dass Thiel tatsächlich nicht aus mir hatte lesen können? War das, was nur kurz zuvor noch reibungslos funktioniert hatte, irgendwie von mir unterbunden worden? Es musste so gewesen sein! Und doch hatte ich keine Ahnung, wie ich das angestellt hatte.
Sie lernen schnell … Es wäre eine Verschwendung … Die Akademie …
Ich nagte an meiner Unterlippe, während die Erinnerung an das Akademiegebäude einmal mehr in mir aufstieg. Konnte ich mir vorstellen, Teil dieser besonderen Institution zu werden? Menschen zu treffen, die wie ich waren – oder ganz anders und mir doch ähnlich? Wie würde meine Zukunft aussehen, wenn ich mich darauf einließ? Und wollte ich in eine Akademie eintreten, die Menschen überwachen ließ? Denn auch wenn es dem Zweck gedient hatte, meine Fähigkeiten auszuloten und mit Maren eine Spionin im Auge zu behalten – eine Überwachung war eine Überwachung.
Ich drängte die Gedanken zur Seite. Darüber konnte ich mir später den Kopf zerbrechen. Zuvor musste ich herausfinden, was es mit diesem 9. November auf sich hatte. Und ob Maren mit ihrem Verdacht wirklich richtig gelegen hatte.
Erst jetzt fiel mir auf, dass Thiel mir noch immer nicht erklärt hatte, welche Funktion die Wasserspeier eigentlich genau für die Akademie erfüllten. Wer sie gebaut hatte und wann das gewesen war. Im Wirbel um Marens Spionage-Identität war all das vollkommen untergegangen, doch nun tauchte diese Frage wieder auf. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass ich schleunigst eine Antwort finden sollte. Und ich wusste auch schon, wie.
***
»Hallo, Mirella!«
Das Mädchen wirbelte erschrocken herum und wich instinktiv einige Schritte zurück. Dann erkannte sie mich. Ein sonniges Lächeln huschte über ihr Gesicht. Und sofort darauf gespielte Empörung.
»Bist du wahnsinnig, mich so zu erschrecken? Wieso lauerst du mir in einem Busch auf?«
Ich trat aus dem Schatten der Bäume auf den Gehweg.
»Ich habe dir nicht aufgelauert.«
»Nicht? Dann ist das deine normale Art der Anmache, oder was? Nicht sehr überzeugend.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Wie alt bist du? Sechzehn? Keine Sorge, ich mache dich ganz sicher nicht an.«
Mirella hob das Kinn. Da war es wieder, dieses amüsierte Funkeln, das ich nie in den Augen ihres Vaters gesehen hatte.
»Na, dann wissen wir ja beide, woran wir sind. Prima. Und? Erfahre ich, warum du dich hinter Büschen versteckst, oder nicht?«
»Ich habe auf dich gewartet«, entgegnete ich und versuchte, meine Stimme möglichst unbeteiligt klingen zu lassen. Das Letzte, was ich jetzt brauchen konnte, war die Tochter des Akademieleiters, die dachte, ich würde etwas von ihr wollen. Es hatte andere Gründe, dass ich vor der Akademie auf sie gewartet hatte. Und ich konnte nur hoffen, dass sie sich auf meine Bitte einlassen würde.
Mirella kreuzte die Arme vor der Brust.
»Aha. Es ist schon spät, ich würde gerne nach Hause. War ein langer Tag.«
Ich nickte. »Ja, das verstehe ich. Aber ich brauche deine Hilfe.«
Mirella verengte die Augen zu schmalen Schlitzen und kam langsam näher.
»Meine Hilfe?«, fragte sie und ich hörte deutliche Neugier in ihrer Stimme. »Was hast du vor?«
Fünf Minuten später befanden wir uns mitten im Labyrinth der Akademie.
***
Mirella kannte das weitläufige Gebäude wie
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