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Ruf der Drachen (German Edition)

Ruf der Drachen (German Edition)

Titel: Ruf der Drachen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yalda Lewin
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Austausch gibt.«
    »Wollen Sie damit sagen, die DDR hat ihre eigene Akademie für Menschen mit außergewöhnlichen Begabungen ins Leben gerufen?«, rief ich überrascht. Es klang befremdlich, sicher, denn bis vor Kurzem hatte ich mir nicht einmal vorstellen können, dass es irgendwo auf dieser Welt eine Institution für Menschen wie mich gab. Aber natürlich war es plausibel. Warum sollte der direkte Nachbarstaat ungewöhnliche Talente nicht auch nutzen? Ich zweifelte nicht daran, dass Menschen mit paranormalen Fähigkeiten auch für sozialistische Geheimdienste sehr wertvoll sein konnten.
    »Und Maren …«, setzte ich an, atmete dann tief durch und schluckte. »Hatte sie auch besondere … Fähigkeiten?«
    Außer mir so formvollendet den Kopf zu verdrehen?
    »Nicht, dass wir wüssten«, erwiderte Thiel. »Wenn doch, dann hat sie es sehr gut verborgen. Aber ihre Familie gilt als linientreu. Ich nehme an, dass sie hergeschickt wurde, weil eine Studentin wenig Verdacht erregt.«
    »Das verstehe ich nicht«, sagte ich kopfschüttelnd. »Wieso haben die nicht befürchtet, dass sie sich einfach in den Westen absetzt?«
    Thiel verzog die Mundwinkel zu einem bitteren Grinsen.
    »Das hätte sie nie im Leben getan.«
    »Wie können Sie da so sicher sein?«
    Thiel deutete auf die Akten. »Maren Ungers Ehemann wurde inhaftiert. Eine Art Pfand, um sicherzustellen, dass sie hier keine Dummheiten macht.«
    Mir wurde schwindelig.
    »Ihr … ihr Mann?«
    Thiel blickte mich an und für einen Moment glaubte ich, einen Funken Mitgefühl in seinen Augen zu erkennen.
    »Enttäuscht?«
    Ich schüttelte heftig den Kopf, während mir etwas den Hals zudrückte und ich mich fühlte, als stünde ich am Rande eines Steilpasses, dessen bröckeliges Gestein jeden Moment unter mir wegbrechen und mich mit sich in die Tiefe reißen konnte.
    »Nein, nein«, presste ich hervor. »Natürlich nicht. Es war ja auch gar nichts zwischen uns. Es war ja … gar nichts.«
    Ich sah, wie Hades die Mundwinkel verzog, doch er sagte nichts.
    Thiel musterte mich schweigend, dann nickte er bedächtig.
    »Gut, wenn Ihnen das hilft, dann betrachten wir es so. Fakt ist, dass Maren abgezogen wurde. Und dass Sie ihr höchstwahrscheinlich nie wieder begegnen werden. Da kann es hilfreich sein, Geschehenes nicht überzubewerten. Gerade jemand wie Sie sollte Strategien entwickeln, um sich zu schützen.«
    Gerade jemand wie Sie …
    Erneut kam ich mir vor wie ein Aussätziger, doch das war albern. Wenn, dann war ich gerade in diesem Büro so etwas wie ein Aussätziger unter Aussätzigen.
    Plötzlich fühlte ich mich erschöpft bis in die Knochen. Eine bleierne Schwere legte sich über meine Gedanken, meine Gefühle, sogar über die Worte, die ich sagen wollte.
    »Kann ich noch mal in ihre Wohnung?«, fragte ich schließlich.
    Thiel zuckte mit den Schultern. »Sicher. Haben Sie noch etwas dort?«
    Ich nickte stumm. Ich hatte tatsächlich etwas bei Maren gelassen – in dem festen Glauben, dass ich ja bald wieder zurück sein würde.
    »Ja. Meine Klarinette.«
    »Holen Sie sie. Aber schnellstmöglich. Bei der Wohnungsknappheit in Westberlin würde es mich nicht wundern, wenn schon sehr bald wieder neu vermietet wird.«
    »Und Marens Sachen?«, fragte ich, während mein Herz plötzlich wild zu pochen begann. Was war mit ihren Möbeln, den Büchern – mit dem Klavier?
    »Keine Ahnung«, antwortete Thiel. »Einige unserer Mitarbeiter waren vorhin in ihrer Wohnung, anscheinend hat sie nichts mitgenommen. Sie ist einfach von jetzt auf gleich verschwunden. Und ich denke nicht, dass sie jemals wiederkommen wird.«

KAPITEL VII
    Das Knarren der Dielen klang wie ein trauriges Seufzen und die Stille, die sich über mich legte, sobald ich stehen blieb, hatte etwas Erdrückendes. Es war seltsam, ganz allein durch Marens Wohnung zu gehen, während über allem noch der leichte Geruch von Kaffee und einem Hauch Orange lag – so, als wäre gar nichts geschehen. In der Küche stand dreckiges Geschirr unberührt im Spülbecken und die traurigen Reste der geköpften Rosen ragten wie Stillleben aus dem Mülleimer. Es wirkte, als wäre Maren nur kurz vor die Tür gegangen. Und ich konnte noch immer nicht fassen, dass sie einfach so verschwunden war. Sie hatte in Eile das Land verlassen und, wie es aussah, wirklich überhaupt nichts aus der Wohnung mitgenommen. Ihr Kimono hing an der Badezimmertür. Ich strich im Vorbeigehen über die taubenblaue Seide, in deren Schimmer plötzlich der

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