Ruf der Dunkelheit
mehr, als endlich von ihrem Blut zu trinken. Mit einem heiseren Aufschrei grub ich ihr meine Zähne ins Fleisch, riss die Wunde weiter auf und wurde von einer Welle an Gefühlen überrollt, als ich gierig begann, zu schlucken. Heiß rann mir ihr Lebenssaft die Kehle hinunter, während ich mich stöhnend noch tiefer in sie verbiss.
Doch anstatt mich von meinem Durst zu erlösen, breitete sich mit ihrem Blut ein Gefühl, von züngelnden Flammen in meiner Körpermitte aus, das sich innerhalb von ein paar Sekunden über meinen gesamten Körper ausbreitete. Es fühlte sich an, als würde ich innerlich verbrennen!
Keuchend ließ ich von dem mittlerweile toten Körper ab. Ich lag rücklings auf dem nebelfeuchten Boden, wand mich röchelnd und rang panisch nach Luft. Bleierne Schwere erfasste meine Glieder und ein dunkler Schleier legte sich über meinen Verstand, während meine Lunge sich endlich wieder pfeifend mit Luft füllte.
***
Mit einem Ruck öffneten sich meine Lider. Über mir tanzten verschwommene Lichtpunkte und nur langsam schärften sich die Umrisse um mich herum. Ich blickte durch das Blätterdach über mir und erkannte blaue Himmelsfetzen. Die Sonne fiel durch das Dickicht und blendete mich. Langsam setzte ich mich auf und sah mich um. Ich befand mich immer noch im Wald und neben mir – ich musste schlucken – lag die Leiche der jungen Frau. Ich hatte sie übel zugerichtet. An ihrer rechten Körperhälfte klebte fast schwarz, getrocknetes Blut.
Ekel kroch in mir hoch und ich musste würgen! Entsetzt über mich selbst, schlug ich die Hand vor meinen Mund, doch mein Körper kannte kein Erbarmen. Ich krümmte mich unter Krämpfen und würgte so lange, bis mein Magen den restlichen Inhalt der gestrigen Nacht entleerte. Zitternd stützte ich meine Hände auf den feuchten Boden und grub die Finger in die Erde. Mein Atem kam nur stoßweise und doch schaffte ich es irgendwie, mich auf die Beine zu stemmen. Doch meine Knie sackten bedrohlich ein und schnell hielt ich mich an einem Ast fest, bevor ich wieder zu Boden sinken würde. Was zur Hölle war nur geschehen?!
Ich hangelte mich vorwärts, strauchelte und fiel auf die Knie. Alles um mich herum begann sich zu drehen, doch ich kroch auf allen Vieren weiter vorwärts. Schließlich ließ ich mich matt neben den Körper der Fremden fallen und drehte sie so zu mir herum, dass ich ihr Gesicht sehen konnte.
Angewidert stieß ich Luft aus, als ihr Kopf zur Seite fiel und ich in ihre aufgerissenen, leeren Augen blickte. Blaue Äderchen schimmerten unter ihrer fast weißen Haut durch und zogen sich wie ein Netz über ihr Gesicht, den Hals und das Dekolletee. Ich schob einen Ärmel ihrer Jacke zurück und auch dort war die Haut mit denselben bläulich-violetten Adern durchzogen. Kraftlos sank ich zurück und lehnte mich gegen einen Baumstamm. Das Atmen fiel mir schwer, als müsste mein Körper für jeden Atemzug extra Kraft aufbringen. Ich konnte mir das einfach nicht erklären; so etwas hatte ich noch nie zuvor gesehen. Sie musste irgendetwas in ihrem Blutkreislauf gehabt haben, bevor sie starb – bevor ich sie grausam getötet hatte!
Seufzend sank ich in mich zusammen und sammelte Kraft. Ich musste irgendwie zurück zu Tamara kommen. Bei dem Gedanken an das, was gestern geschehen war – und wie ich mich ihr gegenüber verhalten hatte, brannten Tränen in meinen Augen. Ich mutierte wieder zu einem selbstsüchtigen Monster und hatte völlig vergessen, dass es mehr gab, als nur der Durst nach Blut.
Entschlossen stemmte ich mich nach oben und wankte, mich an verschiedenen Ästen entlanghangelnd in die Richtung, aus der ich gestern Abend gekommen war. Immer wieder versagten meine Beine ihren Dienst und ich schaffte es nur mit Mühe und unter größter Anstrengung, mich wieder aufzurappeln.
Schließlich erschien zwischen den Bäumen das Glitzern der Sonne, die sich auf der Wasseroberfläche des Sees brach, an dessen Ufer das Sommerhaus stand. So schnell es mir möglich war, stolperte ich vorwärts, fiel hin und kroch einfach weiter.
„Julian?!“ Erleichterung erfasste meinen geschundenen Körper, als ich Tamaras Stimme vernahm. Doch sie klang aufgeregt, ja fast panisch. „Tamara …“ Mehr als ein raues Flüstern kam nicht über meine Lippen. Meine Kehle fühlte sich an, wie ausgedörrt und meine Lippen waren taub.
Keuchend fiel ich zur Seite und schaffte es nicht mehr, mich aufzurichten. Neben mir raschelte das Laub und im nächsten Moment
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