Ruf der Dunkelheit
schon viel überstehen müssen, aber diesmal schien alles so ausweglos. Ich setzte all meine Hoffnungen in Olivia und ihre Zauberkraft. Hoffentlich fand sie heraus, was Julian in diesen Zustand versetzt hatte. Ich wagte vorsichtig zu hoffen, dass sie vielleicht sogar in der Lage war, ihn zu heilen.
Zwei Stunden später schlich ich matt die Treppe nach unten. Olivia lief gerade mit unzähligen Utensilien, die sie für ihr Ritual benötigte, nach draußen und bereitete alles vor. Sie hatte es uns gestattet, aus gebührender Entfernung dabei zuzusehen, wenn sie ihren Zauber sprach. „Kommst du?“ Valentina legte mir eine Hand auf die Schulter und sah mich fragend an. Ich nickte nur und folgte ihr. Max wartete bereits auf uns. Stumm sahen wir der Hexe dabei zu, wie sie Salz in Form eines Kreises auf den Boden streute, der sie vor negativen Energien bewahren sollte. Dann stellte sie mehrere Kerzen auf und entzündete sie. Sie stand in ihrem Kreis und schien alles um sich herum vergessen zu haben, als sie die Arme zum Himmel streckte und ein paar unverständliche Worte murmelte. Im nächsten Moment schien eine kaum greifbare Energie ihren Körper zu durchfließen und mit dem Boden, auf dem sie stand, zu verbinden. Olivia wandte sich nach Osten und begann, mit fester, fremder Stimme die vier Elemente anzurufen, um aus ihnen die nötige Kraft für ihr Ritual zu schöpfen. Als sie die Anrufung damit beendete, dass sie im Osten eine Schale mit brennendem Räucherwerk auf dem Boden platzierte, zuckten einzelne, lautlose Blitze vom Himmel. Olivia nahm stumm die Streichholzschachtel und einen geweihten Dolch, kratzte eine kleine Menge des getrockneten Blutes davon ab und ließ es in eine goldene Schale rieseln. Sie griff nach einem kleinen Fläschchen, das mit einer rötlichen Flüssigkeit gefüllt war und goss eine kleine Menge hinzu. Währenddessen murmelte sie immer wieder dieselben Worte, die einem monotonen Singsang glichen. Sie hob ihre Stimme und während sie die Augen schloss und die Schale an ihre Lippen führte, konnte ich gerade noch einen Aufschrei unterdrücken. Sie hatte doch nicht wirklich vor, davon zu trinken?!
Doch ich spürte Max´ Hand, die sich beschwichtigend auf meine Schulter legte, während er stumm den Kopf schüttelte.
Sie weiß was sie tut, Tamara. Was für uns Vampire giftig ist, muss nicht unbedingt auch für andere Wesen tödlich sein
, vernahm ich seine Stimme in meinen Gedanken und ich richtete zögernd meinen Blick zurück auf Olivia, die die Schale gerade wieder abgestellt hatte. Aufmerksam beobachtete ich jede ihrer Bewegungen, doch sie blieb einfach nur murmelnd sitzen, bis ihr Körper plötzlich ein paar Mal zuckte, während sie aufstöhnte und nach Luft schnappte. Ich ballte bebend meine Hände und war kurz davor, zu ihr zu stürmen um ihr Ritual zu unterbrechen. „Nicht!“, zischte Max und warf mir einen ernsten Blick zu. „Niemand darf den Kreis betreten!“
„Aber …“, setzte ich an, doch Max schüttelte energisch den Kopf. „Es kann schlimme Konsequenzen haben, den magischen Kreis einer Hexe zu durchbrechen!“ Und so blieb mir nichts übrig, als mit laut pochendem Herzen stehen zu bleiben und abzuwarten.
Doch als die Minuten verstrichen und Olivia noch immer regungslos auf dem Boden lag, schien es wohl auch Max langsam mulmig zumute zu werden. Zögernd näherten wir uns dem magischen Kreis, während Valentina und ich lieber im Hintergrund blieben. „Was sollen wir jetzt machen?“, flüsterte Valentina und sah hilfesuchend zu ihrem Gefährten. In diesem Moment schlug Olivia röchelnd die Augen auf. Hustend setzte sie sich auf und sah uns verwundert an. „Was … was ist passiert?“
Max blieb mit gebührendem Abstand zu ihrem Kreis stehen. „Du bist umgekippt und warst eine Weile weggetreten – wir haben schon begonnen, uns Sorgen zu machen“, erwiderte er, doch Olivia schüttelte den Kopf. „Alles okay, mir geht’s gut. Tut mir leid wenn ich euch erschreckt habe.“ Sie erhob sich, verabschiedete die herbeigerufenen Elemente und hob den Zauber des Schutzkreises auf, sodass wir ihn wieder gefahrlos übertreten konnten. „Dafür weiß ich nun, womit wir es zu tun haben – na ja, zumindest fast.“ Sie sah betreten zu Boden.
„Was heißt fast?!“ Meine Stimme überschlug sich und ich warf ihr einen fassungslosen Blick zu. „Dass heißt, dass mir eine Zutat verschleiert geblieben ist, und das wiederum bedeutet, ich kann noch kein Gegengift herstellen.“
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