Ruf der Dunkelheit
wurden. Hektisch atmend blickte er einen Moment lang auf seine blutüberströmten Handflächen. Die wenigen Sekunden genügten mir.
Ich schwang die Kette über meinen Kopf, ließ sie nach vorne schnellen und beobachtete zufrieden, wie sie sich um seinen Hals schlang. Ich schloss die Finger so fest ich konnte, um das kühle Metall und zog mit aller Kraft und einem einzigen Ruck daran. Ein Knacken ging durch seine Wirbel, sein Kopf klappte in einem merkwürdigen Winkel zur Seite, ehe seine Beine zusammensackten und sein Körper mit einem dumpfen Schlag auf den Boden knallte.
Sofort wirbelte ich herum, trat an Valentina heran und bog die eisernen Fesseln an ihren Handgelenken auf. Kaum ließ der Zug der Ketten nach, der ihren Körper aufrecht gehalten hatte, sank sie kraftlos in meine Arme. Als ihr Brustkorb meinen Arm berührte, schrie sie voller Schmerz auf.
„Val? Was ist …“ Ich legte sie rücklings auf den Boden und starrte in das tiefe Loch in ihrer Brust. „das?!“ Vorsichtig schob ich mit den Fingerspitzen ihre Kleidung beiseite. „Dass“ Val hob den Kopf leicht an, keuchte und ließ ihn wieder zurückfallen. „ist … ein … Holzsplitter.“ Eine Träne rollte über ihre Schläfe seitlich nach unten. Sie musste unglaubliche Schmerzen haben. „Bitte …!“, flehte sie, „du musst ihn rausholen, er wandert immer tiefer - Richtung …“ Wieder stöhnte sie auf und ihre Beine zuckten krampfartig. „Richtung Herz!“ Ich hörte die Panik, die in ihrer Stimme mitschwang und strich ihr tröstend über die Wange. „Keine Sorge, Val – ich helfe dir!“ Sie rang sich ein gequältes Lächeln ab. „Ich könnt´s verstehen, wenn du … mir lieber hier…beim Sterben zusehen würdest!“ Ihr Lachen klang hölzern und anscheinend hatte es zur Folge, dass der Holzsplitter noch tiefer drang, denn sie grub die Finger in den schmutzigen Boden und Schaum trat ihr vor den Mund.
„Okay! Ich werde jetzt versuchen, da dran zu kommen! Aber du musst ganz still halten!“ Ich wollte keine Zeit verlieren, denn höchstwahrscheinlich würde sie die nächste, ruckartige Bewegung töten.
Meine Finger ertasteten den Rand der Wunde. Ein Schauer lief mir über den Rücken, als ich zwei von ihnen langsam in das weiche, warme Fleisch schob. Valentinas Brustkorb hob und senkte sich hektisch, während sie mit den Zähnen knirschte. Ich konnte nur erahnen, welche Qual sie gerade empfand. Millimeterweise tastete ich mich vorwärts, bis ich das schnelle, holprige Pochen spürte, das von ihrem Herzen ausging. Ich schluckte hart, denn ich wusste, eine falsche Bewegung von mir, und der Splitter würde sich direkt durch ihren wild pumpenden Muskel bohren.
„Ich kann ihn fühlen, Val!“ Meine Stimme klang fremd und viel zu laut, als ich ihr das, ohne meinen Blick abzuwenden, mitteilte. Als ich das erste Mal zögerlich zugriff, entwischte mir das verdammte Ding. Ein ersticktes Stöhnen drang an mein Ohr und ich hielt kurz inne, weil ich Angst hatte, dass ihr Herz verletzt sein könnte. Doch es schlug hastig und kräftig weiter, also wagte ich einen weiteren Versuch.
Diesmal schob ich meinen Zeigefinger an dem Splitter entlang, bis ich dessen Spitze fühlen konnte. Mit dem Daumen stabilisierte ich das Ende des Holzstückchens und zog meine Hand ganz langsam zurück. Mittlerweile dröhnte auch mein eigener Puls in meine Ohren.
Am Rand der tiefen Wunde erschienen erst mein Daumen und dann das hintere Ende des Splitters. Es folgte mein Zeigefinger und endlich hielt ich die abgebrochene Spitze eines Holzpfahls in der Hand. Erleichtert ließ ich mich neben Val zu Boden sinken und atmete tief und keuchend aus. „Ich hab es! Ich hab es!“, presste ich immer wieder hervor und mir entfuhr ein schon fast hysterisches Kichern.
Als ich mich wieder beruhigt hatte, wandte ich den Kopf und blickte direkt in Val´s dreckverkrustetes Gesicht. Ihre Augen hatten einen merkwürdigen, glasigen Glanz und ihr Mund war halb geöffnet. Sie schien durch mich hindurchzustarren. Ruckartig richtete ich mich auf, robbte über ihren Brustkorb, presste mein Ohr darauf und lauschte. Der letzte Schlag ihres Herzens hallte in der dunklen Höhle ihrer Brust nach. Doch dann war es still. Nichts! Kein Herzschlag, keine Atmung!
„Val!“ Ich beugte mich über sie, nahm ihr Gesicht in meine Hände und schüttelte sie. „Val! Mach keinen Scheiß! Verdammt!“ Doch ihre Miene blieb regungslos und mittlerweile war auch der wässrige Glanz aus ihren Augen
Weitere Kostenlose Bücher