Ruf der Dunkelheit
blickte stumm auf die aufgewühlte Wasseroberfläche, an deren Stelle gerade das Heck von Julians Leihwagen versunken war.
Kraftlos lehnte ich mich gegen seine Schulter. Valentina saß einige Meter weiter auf einem Steinbrocken und starrte wie hypnotisiert auf die brodelnden Luftblasen, die nach oben stiegen, während das Auto langsam auf den Grund des riesigen Sees sank, der ringsum von einem steinigen Krater eingeschlossen war. Hier wurde früher eifrig Kohle abgebaut, doch schon lange rosteten die Kräne und Förderbänder einsam vor sich hin.
„Was haben wir getan“, flüsterte ich tonlos, als sich eine Träne aus meinem Auge stahl. „Max ist tot – Valentina wäre fast gestorben und jetzt versenken wir eine Hexe, von der wir vor ein paar Tagen noch geglaubt haben, sie wäre unsere Verbündete.“ Ich hob meinen Kopf und schielte zu Daria, die stumm versuchte, Michael irgendwie zu trösten. „Wem können wir denn eigentlich noch vertrauen?“ Offenbar waren meine Worte an ihr Ohr gedrungen, denn sie sah auf und unsere Blicke trafen sich.
„Was willst du damit sagen?!“, fragte sie schrill und kniff die Augen zusammen. Ich löste mich aus Julians Arm und trat auf sie zu. „Ich kannte Olivia – zumindest dachte ich das. Nur Dank ihrer Hilfe, sind Julian und ich noch am Leben!“, fuhr ich sie erbost an. „Ich habe keine Ahnung, was für Ziele du verfolgst, immerhin warst du Margaretha gegenüber wohl äußerst loyal!“
„Du hast ja keine Ahnung!“, schrie sie und feuerte hasserfüllte Blicke auf mich ab. „Sie stand auf unserer Türschwelle – eines schönen Tages, mit dem Kopf meiner Mutter in der Hand. Ich war noch ein kleines Mädchen, das ständig unter ihrer herrschsüchtigen Mutter zu leiden hatte. Margaretha nahm mich mit, kümmerte sich liebevoll um mich und half mir dabei, meine Fähigkeiten zu entwickeln.“ Sie richtete ihren Blick wieder auf den See. Ihre Stimme war nur ein raues Flüstern, als sie weitersprach. „Ich hatte wirklich geglaubt, sie tut das alles für mich…doch dann zwang sie mich immer öfter dazu, schreckliche Dinge für sie zu tun.“ Sie wandte den Kopf halb zu mir, ihre Augen glänzten feucht. „Ich habe mehrmals versucht, mir das Leben zu nehmen. Ich war gefangen in einem Albtraum – bis ich Michael traf.“ Ihre verhärteten Gesichtzüge wurden auf einmal ganz weich und sie betrachtete liebevoll Olivias Halbbruder, der stumm auf dem staubigen Boden saß und auf die Stelle blickte, an der der Wagen vom Wasser verschluckt worden war.
„Ich werde euch jetzt etwas erzählen“, begann sie, ohne den Blick von Michael abzuwenden. „Danach könnt ihr entscheiden, ob ihr mir vertraut oder nicht.“ Sie hob den Blick und nicht nur ich horchte auf. Selbst Valentinas teilnahmslose Miene zuckte kurz. „Wir hören.“ Julian trat neben mich. Seine Augen ruhten argwöhnisch auf Daria, die einen kurzen Moment an ihrer Unterlippe nagte.
„Max … er … er ist am Leben.“
Ist am Leben
. Drei Worte, die alles veränderten. Von einer Sekunde auf die andere. Ich schluckte hart und spürte, wie sich mein Herzschlag beschleunigte.
„Das ist unmöglich! Er ist vor meinen Augen gestorben!“, schrie ich ihr entgegen. Sofort füllten sich meine Augen mit Tränen und meine Umgebung verschwamm zu einer grau-braunen Suppe. Meine Fingerspitzen kribbelten und ich ballte meine Hände zu Fäusten. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Valentina aufsprang, vorwärts stolperte und vor Daria auf die Knie fiel. Tränen hinterließen nasse Spuren auf ihrem staubigen Gesicht. „Wo ist er?“, wisperte sie. „Bitte, Daria! Wo … wo ist er?!“, wiederholte sie schon fast hysterisch und zerrte an Darias Armen.
Diese starrte einen Moment lang auf Valentina, die sich noch immer nicht beruhigt hatte. Sie schien mit sich zu ringen, doch Michael, der aufgestanden war und sich den Dreck von der Hose geklopft hatte, war von hinten an sie herangetreten und legte ihr seine Hand auf die Schulter. „Wenn du etwas darüber weißt, sag es ihnen. Max war ein enger Freund meiner …“ er biss sich auf die Lippe und sein Blick huschte kurz zurück auf die mit Wasser gefüllte Grube, „unserer Mutter.“
„Na schön.“ Daria atmete geräuschvoll ein. „Sein Tod war inszeniert. Das vorhin auf dem Dach … war nicht Max. Es war nur eine Illusion. Margaretha wollte, dass ihr glaubt, sie würde nicht mal davor zurückschrecken Max zu töten, um zu erfahren, wie du von Damian verwandelt worden bist,
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