Ruf der Geister (German Edition)
und der Wäschebehälter weigerte sich vehement, geschlossen zu bleiben.
Joshua schielte auf das Buch, das er seit Wochen zu lesen versuchte. Er könnte das Aufräumen noch ein wenig aufschieben.
Die Türklingel unterbrach seine Überlegungen. Ve rwundert ließ er den unangekündigten Besuch hinein und schaute gespannt die Treppe herunter.
„Joshua!“, kiekste ein kleines Mädchen und stolperte die Stufen hinauf. Die blonden Locken wippten bei jedem Schritt und auf Joshuas Gesicht breitete sich ein Lächeln aus.
„Leonie! Hallo, kleines Fräulein!“
Leonie sprang in Joshuas Arme und er fing sie bereitwillig auf. Die Kleine war fünf Jahre alt und die Tochter seiner Schwester.
„Wo hast du denn deine Mama gelassen?“
„Hier! Ich bin hier!“ Maren hielt sich den gerundeten Leib und brauchte einen Augenblick, um zu Atem zu kommen.
„Wie geht es denn deinem kleinen Bruder?“, fragte Joshua das Mädchen.
Es beugte sich nah an sein Ohr: „Er tritt Mama immer in den Bauch, weil es so eng da drin ist. Ich glaube, er will raus.“ Leonie kicherte leise.
„Kommt doch herein“, bot Joshua an, aber Maren winkte ab.
„Josh, kannst du mir einen Gefallen tun? Könntest du zwei Stunden auf Leonie aufpassen? Rudi hat sich am Vorderbein verletzt und ich muss mit ihm zum Tierarzt.“
„Oh, ja klar. Ist es schlimm?“
„Nein, ich denke nicht. Trotzdem ist es besser, wenn sich der Doc den Hund mal anschaut.“
„Geh nur und mach dir keine Sorgen.“
„Danke!“
„Mein Schlumpfi!“, kreischte Leonie plötzlich.
Maren stöhnte genervt auf.
Joshua setzte das Kind auf die Stufen. „Warte hier, S üße. Ich hol sie.“
Er folgte seiner Schwester hinaus und fröstelte ang esichts der Kälte. Maren holte das Stofftier aus dem Wagen und küsste Joshua auf die Wange.
„Bis nachher.“
Rasch entfloh er dem Schnee und ging zurück ins Haus. Leonie wartete auf der Treppe und streckte sehnsüchtig ihre Arme aus. Mit dem kleinen Schaf lotste er sie in seine Wohnung. Mühsam schälte er das Mädchen aus der dicken Winterjacke.
„Hast du schon was gegessen, Leonie?“
Die Kleine schüttelte ihren Lockenkopf. „Mama wollte was kochen, aber dann hat Rudi sich wehgetan.“
„Na gut, ich hab auch noch nichts gegessen. Dann werde ich was kochen. Was magst du denn?“
Leonie knabberte auf ihrer Unterlippe herum. „Miracoli!“
„Oh gut, das mag ich auch und ich hab sogar eine Packung in der Vorratskammer.“
Joshua nahm sie an der Hand und führte sie zu einer schmalen Tür. „Das ist meine Zauberkammer. Da bewa hre ich ganz viel auf. Aber du musst aufpassen. Manchmal bewirft sie mich mit Klorollen.“
„Die Kammer?!“ Leonie starrte mit großen Augen auf die Holztür und presste ihr Schäfchen an die Brust.
„Hmm, also vorsichtig.“
Langsam drehte er den Schlüssel im Schloss herum und öffnete die Tür einen Spalt. Er lugte zu den Toilettenro llen, die ihm sonst ständig entgegenfielen.
Komm schon!
Wie von Zauberhand löste sich eine Rolle aus Joshuas wackliger Konstruktion und kullerte über den Boden.
Leonie sprang quiekend zurück und starrte auf das sich abrollende Papier.
„Schnell! Halt sie auf!“
Leonie reagierte blitzschnell und schnappte sich die Toilettenrolle. „Ich hab sie!“
„Bravo!“
„Wie macht die Kammer das?“
Spitzbübisch schaute Joshua auf die Regale, die viel zu voll gestopft waren. „Ich bin nicht sicher. Vielleicht ist es ein Kobold?“
„Och, dann ist er sicher unsichtbar. Den kriegen wir nie zu sehen.“
Die Unbefangenheit, mit der seine Nichte noch immer mit Unsichtbarem umging, beruhigte Joshua. Er hatte zwar nie mit seiner Schwester offen darüber gesprochen, aber die Angst, ihre kleine Tochter könnte vielleicht auch seine beunruhigende Begabung haben, hatte ihn nie ganz losgelassen. Wenn Leonie kam, dann fand er immer eine Gelegenheit, etwas Ungewöhnliches zu tun, um sie zu testen. Erleichtert atmete er auf. Dieses Mal war es der Kobold in der Vorratskammer, beim letzten Besuch hatten sie sich unter einer Tischdecke vor unsichtbaren Trollen versteckt, die Leonie kreischend vor Vergnügen im fiktiven Regen stehen sah. Gott sei Dank wirklich nur in ihrer übersprühenden Fantasie, das hatte Joshua damals nach zwei Stunden unter seinem niedrigen Wohnzimmertisch begriffen.
Joshua kramte ein wenig und holte triumphierend die Nudelpackung hervor. Doch als er später Tomaten in die Soße schnitt, zog Leonie eine Grimasse.
„Wieso schnibbelst du denn
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