Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33
denn all das aufgeben, was du gelernt hast?“ Bei ihren Worten verlangsamte Sophie ihren Schritt. „Willst du die Gabe verleugnen, die dir innewohnt? Jene Fähigkeit, welche du in den zurückliegenden Monaten ständig verbessert hast?“
Sophie drehte den Kopf und schaute über die Schulter hinüber zu der Frau, die am Ufer kniete. „Ich liebe Hugues“, sagte sie schlicht.
„Und die Liebe siegt immer?“, fragte Melusine hoheitsvoll, und mit ihrem Sarkasmus erinnerte sie Sophie abermals an die schreckliche Geschichte. „In der Vergangenheit hat sie das nicht geschafft“, setzte sie leise hinzu.
Sophie aber ließ sich nicht umstimmen. Von diesem Unsinn wollte sie nichts mehr hören. „Ich bin nicht von deiner Art“, gab sie hitzig zurück und bemerkte kaum den Schmerz, der in Melusines Augen aufflammte. „Ich will es auch gar nicht sein! Ich trage auch nicht das Mal des zweiten Gesichts. Ich will meinen Hugues!“ Wütend wirbelte sie herum und stiefelte in den Wald, und als sie Melusines Abschiedsworte vernahm, traten ihr Tränen in die Augen.
„Aber wird auch dein Hugues dich noch wollen, sollte dein Leib tatsächlich keine Frucht bringen?“
Diesmal zumindest war Luc vollauf zufrieden mit der Wahl des Weges, auch wenn Hugues noch einen Rest von Zweifeln hegte, ob es wirklich eine so gute Idee war, nach Sophie zu suchen. Es hätte ihn nämlich nicht gewundert, wenn sie heimgekehrt wäre nach Bordeaux. Eine sonderbare innere Stimme aber sagte ihm, dass sie noch hier im Wald hauste. Allerdings kämpfte er dagegen an, denn logisch war es ja nicht, und er wollte sich lieber auch nicht darauf verlassen.
Und selbst für den Fall, dass sie noch hier war, wusste er dennoch nicht, ob sie auch mit ihm kommen würde, allen Versicherungen von Jean zum Trotz. Was sollte er tun, wenn sie ihn abermals abblitzen ließ? Trotzig das Kinn gereckt, hielt er auf seinem Ross auf den Waldrand zu, dessen Schattenlinie sich bereits am Horizont abzeichnete.
Jedenfalls musste er nochmals mit ihr reden, um letzte Gewissheit zu erhalten, dass sie mit ihm nichts zu schaffen haben wollte.
„Sputen wir uns, Milord, damit wir den Wald bis Einbruch der Dunkelheit erreichen“, rief Luc voller Tatendrang.
Hugues bedachte den Knappen mit einem nachsichtigen Lächeln. „Das hätte ich aber nicht gedacht, dass du’s so eilig hast, den Wald von Brocéliande wiederzusehen“, bemerkte er und ergötzte sich daran, dass der Junge rote Ohren bekam.
„Es ist nun mal unsere Pflicht, Sophie zu retten“, gab Luc mit ernster Miene zurück.
„Es kann aber sein, dass sie das ganz anders sieht“, wandte Hugues vorsichtig ein.
Luc schüttelte den Kopf. „Dann liegt es bloß daran, dass sie verhext ist“, beteuerte er.
Ach, wenn es doch nur so einfach wäre! „Es ist aber der Abend der Walpurgisnacht“, mahnte er den Knappen. „Bist du dir da auch sicher, dass du trotzdem durch den Tann reiten willst?“
Luc schluckte sichtlich und äugte hinüber zum Waldrand, der nun schon näher vor ihnen lag. „Ich tu’s auch nur für Euch und für Sophie“, murmelte er. Hugues merkte, dass ihm sein Erstaunen ins Gesicht geschrieben stand, doch der Junge bemerkte es offenbar nicht, sondern starrte nur in die Ferne. „Seht Ihr die Lichter, Milord?“, fragte er, nach Hugues’ Gefühl mit etwas zittriger Stimme. Als er den Blick hob, bemerkte er in der Tat zahlreiche Lichtpunkte, offenbar Flammen von Fackeln, direkt am Waldessaum aufgereiht.
„Das sind aber keine verwunschenen, Luc“, versicherte er dem Burschen, „sondern von Menschenhand entzündet zum Maienabend. Siehst du die Schatten ringsum?“ Tatsächlich, jetzt konnte man auch an den Umrissen erkennen, dass Leute sich um die Flammen herumbewegten. Als Hugues merkte, wie viele es waren, die sich da am Waldrand versammelt hatte, legte er verwundert die Stirn in Falten.
Allmählich kamen sie näher, und Hugues wollte gerade fragen, was da vor sich ging. Da aber reckte einer der Männer die Fackel hoch über den Kopf und schrie den anderen zu: „Wisset, in dieser Nacht können wir die Hexen besiegen!“ Zustimmendes Raunen lief durch die Menschenmenge, bei dem Hugues ein kalter Schauer erfasste. „In dieser Nacht ist ihre Macht auf dem Tiefpunkt. In dieser Nacht können wir sie verbannen zur anderen Seite, ein für alle Mal!“ Als der Mann wieder die Fackel schwang, erkannte Hugues zu seinem Entsetzen, dass die anderen seinem Beispiel folgten und Hunderte flammender Kienspäne
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