Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33
schnell wie möglich.“ Sofort langte er nach seinem Mantel, der in die Decke eingerollt auf dem Pferderücken lag. Sophie hielt ihn jedoch zurück.
„Nicht, Hugues. Du brauchst die Wärme selbst“, versetzte sie in nüchternem Ton, sodass er sich schon fragte, wie er je hatte annehmen können, dass sie von Sinnen sei. „Aber halte ihn während des Rittes eng an dich gedrückt, damit er ein Gutteil von deiner Körperwärme mitbekommt.“
Beifällig nickend half er Sophie in den Sattel von Lucs Zelter, saß dann auch auf seinen Hengst auf und blickte geraume Zeit auf den Kopf des schlafenden Knappen. Er sah krank aus, sodass sich Hugues zusammenreißen musste, denn am liebsten hätte er bei diesem Anblick die Flucht ergriffen.
„Er braucht dich, Hugues“, bemerkte Sophie, als erkenne sie, in welchem Dilemma er steckte. Schon der Gedanke verlieh ihm eine erstaunlich Kraft, sodass er den Jungen fest an sich drückte und seinen Mantel um ihn und sich selbst schlug.
„Aye“, versetzte er bedächtig und merkte stirnrunzelnd, wie kalt der Knappe sich anfühlte. „Jawohl, das tut er.“
Während er den blassen Knaben betrachtete, ging plötzlich eine Veränderung in ihm vor, und auf einmal sah er so manches anders. Die Erkenntnis, dass er im Angesicht einer Krankheit nicht vollkommen hilflos war, verminderte jenes Gefühl der Machtlosigkeit, das er sonst immer bei Kranken empfand.
„Was schlägst du also vor?“, fragte er Sophie.
Sie überlegte einen Moment, bevor sie ihm antwortete. „Er braucht Wärme als Gegenmittel gegen die Unterkühlung. Deshalb bedarf er bald warmer und trockener Kleidung und auch möglichst noch einer heißen Brühe. Sollte er anfangen zu husten, gibt es einige ganz gewöhnliche Kräuter, die ihm Nase und Rachen wieder frei machen. Vermutlich finden sich einige davon in jedem Garten.“
Wider Erwarten trugen ihre Worte dazu bei, Hugues’ Befürchtungen zu zerstreuen. „So kannst du ihm also helfen?“, fragte er erstaunt.
Sophie bejahte. „Aber gewiss doch“, versicherte sie selbstbewusst und wies dabei auf Hugues’ Arme, die den Knappen umschlungen hielten. „So wie du auch.“
So wie du auch! Das hörte sich gut an. Nochmals blickte Hugues auf den schlafenden Luc. Krankheit war also keineswegs eine rätselhafte Macht, gegen die man nichts ausrichten konnte, sondern ein dunkler Reiter, dessen Kriegslisten sich durchschauen ließen. Ein Furcht einflößender Gegner, sicherlich, doch einer, der beileibe nicht unbesiegbar war.
Zufrieden zog er sich den Knappen noch näher an seinen Körper, in den die Wärme allmählich zurückkehrte. Dann wandte er sich an Sophie. „Wir sollten uns beeilen, damit wir bald Fontaine erreichen“, drängte er sie, und als sie zustimmend lächelte, gab er seinem Ross die Sporen.
Hoch über dem westlichen Horizont hing noch die dunkelrot glühende Scheibe der Sonne, als die drei ein Château erreichten. Bewehrt mit trutzigen Türmen an den vier Ecken der Burgmauer, erhob sich das Bauwerk auf einem niedrigen Hügel. Um diesen schlängelte sich ein träge fließender Wasserlauf, doch er war breit, sodass nur ein einziger freier Zugang zum Burgtor blieb. Die Landstraße, die in Windungen darauf zuführte, war von den Zinnen aus leicht zu überwachen. Zweifellos wurden sie auch jetzt beobachtet, denn Sophie spürte, wie sich ihr prickelnd die Nackenhaare aufstellten.
Tief beeindruckt starrte sie dies imposante Bollwerk an, fest davon überzeugt, dass man ihnen niemals Einlass gewähren würde in ein solch reiches Anwesen. Hugues aber rief der Torwache ganz ungezwungen einen Gruß zu. Offensichtlich war er hier wohlbekannt, denn der Wachposten grüßte ihn fröhlich mit Namen und kam sogar aus seiner Wachstube heraus, um den Neuankömmling mit einer Verbeugung willkommen zu heißen.
Hugues wandte sich wieder an Sophie. „Was brauchst du nun?“, wollte er wissen.
Sophie riss sich vom Anblick der Trutzburg los und richtete ihr Augenmerk auf dringlichere Angelegenheiten. „Eine warme Stube, heiße Suppe, trockene Kleidung für uns alle“, sagte sie mit einem Blick auf Hugues. Es behagte ihr ganz und gar nicht, wie blass seine ansonsten so gesunde braune Haut geworden war. „Trägst du unter dem Mantel noch dein Kettenhemd?“, fragte sie knapp.
Als er zerknirscht errötete, war ihr das Antwort genug, denn dass er so achtlos mit seiner Gesundheit umging, erzürnte sie über alle Maßen. Denn sie befürchtete, ihn schon wieder verlieren zu
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